Geruchs-Intoleranz und Krätzen-Toleranz

15.06.23
Habe mir am gestrigen Abend tatsächlich noch ein riesen Eis in Oviedo gegönnt und die Stadt etwas erkundet. Beim Kampf mit der schnell schmelzenden und klebrigen Milchspeise, beobachtete ich den großen Springbrunnen am Platz, aus dem eine Tomaten-Sahne-Soße zu sprudeln schien. Ich trudelte anschließend noch etwas durch den Park, erfreute mich an spielenden Hunden und lief dann Richtung Mercado, um meine Einkäufe zu erledigen. Für meine erste Etappe kamen ein Apfel, ein Stück Tortilla de Patata, ein Brötchen, Nüsse, Kekse und alkoholfreies Dosenbier in den Einkaufswagen. Wasser zum auffüllen meiner Flasche gab es sicher auf dem Camino.


Zurück in der Herberge machte ich mich für die Nacht zurecht und legte mich ins Bett. Nur wenige Minuten später erschien auch die Spanierin, mit der ich diesen Bereich teilte.
Es dauerte nur wenige Minuten, als mir schlagartig etwas bewusst wurde… meine Nase und der spanische Körpergeruch harmonierten nicht! Und zwar so gar nicht… Da musste ich die Nacht dann wohl durch. Shit happens.
Die Nacht war dann auch durchwachsen, aber dennoch war ich um 05:15 Uhr, als meine Uhr am Handgelenk surrte, hellwach und motiviert. Die Jungs aus dem unteren Schlafbereich waren ebenfalls schon aktiv und blockierten leider den begrenzten Sanitärbereich. Somit kam ich erst um, laut schlagender Kirchenuhr, Punkt 6:30 Uhr los.
Die Stadt schlief größtenteils noch und ich lief durch die Gassen mit dem Gefühl eines Kindes, das am Weihnachtsabend auf das Klingeln des Glöckchens wartet, welches zur Bescherung ruft.

Eine gute Stunde brauchte ich, um Oviedo endlich zu verlassen. Man traf das ein oder andere Mal ein paar Pilger aber das schmälerte das Gefühl nicht, welches immer mehr in mir aufstieg: Wieder zu Hause! Unfassbar, wie stark mich dieser traumhaft vernebelte Weg wieder in seinen Bann zog.
Ja, es fühlt sich anders an, als bei einer normalen Tageswanderung durch unseren schönen Schwarzwald. Es ist eine komplett andere Atmosphäre. Der Gedanke, nicht zu wissen wie lange man heute laufen wird, wo man schläft, was und wer uns auf dem Weg erwartet. Die gelben Pfeile und Muscheln, die nur eine Aussage haben: Du bist auf einem der vielen Wege Richtung Santiago. Du DARFST uns folgen.
Und ich folge. Nicht immer, denn ab und an wird es auch hier wieder heißen: I am lost and not on the camino 🤷🏻♀️. Das gehört einfach dazu.

Nach kurzer Wegesstrecke sprach mich Gerhard an. Ein deutscher sympathischer Pilger aus Wiesbaden. Wir fingen an zu plaudern und keuchten dabei schwer, wenn der Camino Primitivo seine Vorboten der noch wachsenden Höhenmeter präsentierte. Wir waren so in unsere Gespräche versunken, dass wir die ersten 17 km kaum bemerkten. Aber mein Magen, der ließ sich nicht täuschen. Der schmale, lösliche Kaffee am Morgen war längst verarbeitet. Und da erst in gut 3 km eine Bar zu erwarten war, wurden die Äpfel aus unserem Vorrat herangezogen. Meine Blase fing allmählich auch an zu zicken, was ich bemüht ignorierte. Die Landschaft auf der ersten Etappe des Primitivos ist zeitweise atemberaubend. Was juckt mich da Hunger und ne volle Blase?
Wir kamen allerdings auch an einer Pferdekoppel vorbei, in der es für das Muttertier und sein Fohlen keinerlei Schattenplatz gab. Das Jungtier lag erschöpft im Gras, während ich der Mutter die Blesse streichelte.
Inzwischen brannte die Sonne und heizte Azurien auf gute 26 Grad auf, welche sich jedoch wie 30 Grad anfühlten, da kein Lüftchen wehte. Schön, dass ich neuerdings einen Strohhut habe.
Einige Meter weiter trafen wir auf die junge deutsche Eva, die gerade dabei war, die Kühe mit abgerupften frischen Gras anzulocken. Sie erzählte uns, dass sie mit Zelt unterwegs und somit absolut unabhängig sei. Sie lief den ganzen Tag durch und schlug ihr Zelt an Kirchen oder privaten Anlagen auf. Natürlich nicht, ohne nicht vorher zu fragen, denn das freie Zelten war auch auf dem Camino verboten. Schade eigentlich. Bisher hatte ich den Weg mit Zelt noch nicht gewagt, aber Evas Optimismus bezüglich der Zeltmöglichkeiten ließen mich nachdenklich werden. Möglicherweise im nächsten Jahr 😉.

Nun musste erst einmal dieser Weg bewältigt werden und dazu gehörte jetzt dringend ein Kaffee, etwas zu essen, eine Toilette und optimalerweise noch ein Eis. All dies bekamen wir nur wenige Minuten später in Paladin. Ein Örtchen mit gefühlt 10 Einwohnern, davon 2 aus dieser Bar.
Der Besitzer war wohl aus irgend einem Grund angetan von mir, denn er steckte mir seine Visitenkarte zu und raunzte mir im schlechten Englisch ins Ohr, ich könne ihn jederzeit anrufen, wenn ich Probleme auf dem Camino hätte. Egal, wann und egal was es wäre. Frauen-Ego gepuscht. Perfekt,… aber dennoch merkwürdig.
Der Kaffee war für 1,50€ wieder super, das Croissant füllte den Magen und in der Toilette schoss ich mein erstes Klo-Selfie überhaupt. Aber die Erleichterung hatte mich dazu motiviert 😜.

Eva war nicht mit in die Bar gekommen und so liefen Gerhard und ich wieder zu zweit weiter.
Nach ein bis zwei Mal „we get lost“ kamen wir nach 28 km in Grado an und suchten dort eine der Herbergen auf. Eine richtig tolle Herberge mit schönem Vorgarten und sehr gepflegtem Inneren.
Um ehrlich zu sein, hatte ich zum Start weitaus weniger Kilometer geplant und meine brennenden Füße ließen mich diese Etappe auch spüren. Zudem zeigten sich schon jetzt, trotz der langen engen Wanderstrümpfe, erste Anzeichen der Pilgerkrätze. Doch da diese keine Schmerzen verursacht, wird sie jetzt erstmal toleriert.

Am Abend lernte ich noch eine junge Australierin kennen, die jedoch in Dänemark lebte. Der Liebe wegen. Perfekt um meine Englischkenntnisse zu vertiefen. Unsere Unterhaltung würde hier jedoch den Rahmen sprengen und ihr wisst doch: Was auf dem Camino erzählt wird, das bleibt auf dem Camino 😉.
Ich plane morgen noch etwas früher zu beginnen, um in den Tag hineinzulaufen. Und auch wenn ich Gerhards Gesellschaft sehr genossen habe, sehne ich mich nach ein wenig Einsamkeit. Nach Gedankenzeit.
Buonna Notte
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