Ein Tag voller bester Ideen

Am gestrigen Tag war ein Eintrag in den Blog leider nicht möglich. Der Tag war lang und voller Emotionen und wir kamen erst um 18:30 Uhr hungrig, müde und abgeschlagen in unserer Unterkunft an. Ja, WIR.
Aber ich möchte nicht wieder vorgreifen und so drehen wir das Zeitrad einfach einen Tag zurück. Nämlich auf den 18.06.23:
Heute Morgen erwachte ich um 04:30 Uhr und war so hellwach, dass ich kurz überlegte aufzustehen und loszulaufen. Doch dann erinnerte ich mich an den gruseligen Morgen zuvor und schloss schnell die Augen. Um 05:30 Uhr vibrierte dann meine Uhr am Handgelenk und ich begann langsam und leise meine Habseligkeiten vor die Tür zu tragen, um dort meinen Rucksack zu packen. Wasser ins Gesicht, Haare zusammenbinden, Zähne putzen, Schuhe an und los!
Was vielen Pilgern nicht bekannt ist war, dass der Hospitales auch direkt von hier anzusteuern war. Somit langen nun 1219 Höhenmeter vor mir.
Ich lief wieder in den aufbrechenden Tag hinein und nach nur etwa 20 Metern begann ein Aufstieg, der den Puls zum rasen brachte. Ich keuchte den Berg hinauf und bedauerte wieder, nur einen meiner Wanderstöcke dabei zu haben, da dieser sich nicht mehr festdrehen ließ und somit nicht zu gebrauchen war. Ich schleppte ihn aber noch immer mit, denn: Es wird schließlich niemand zurückgelassen 👆🏼.
Die frische, kühle Luft erleichterte den Anstieg etwas und zusätzlich blieb ich in einigen Abständen immer mal kurz stehen um Luft zu schnappen und den Ausblick zu genießen. Meinen Schlauchschal hatte ich mir vorsorglich über die Ohren gezogen, da es doch stark windete und meine Lust auf eine Mittelohr-Entzündung begrenzt war.
Trotz der starken Nebelwolken hatte man eine tolle Sicht auf die Berge, Wälder und Wiesen. Was sich jedoch stark hervorhob waren die schwarzen toten Bäume, die wie Soldaten in Reih und Glied standen und wohl einem Feuer zum Opfer gefallen waren. Traurig und dennoch schön, da sich die Natur durchsetzte und neues Leben zum Vorschein brachte.

Der Aufstieg trieb meinen Puls auf über 140 und mir lief, trotz der Morgenfrische, der Schweiß den Rücken herunter. Ich stapfte über Geröll, welches meine Füße immer wieder unsicher wackeln ließ. Irgendwann wandelte sich die Landschaft und ich stand auf einer übergroßen Wiese, deren Gras nass und frisch duftete und die noch wenige Bäume beherbergte. Und direkt auf meinem Weg stand eine Kuh mit ihrem trinkenden Kälbchen. Links daneben, unter einem Baum lag ein weiteres Kalb und blickte mir neugierig und unsicher entgegen. Ich lief im Bogen um Mutter und Kind, um das trinkende Kalb nicht zu stören und stand wenig später in einer Herde wilder Pferde. Diese machten langsam den Weg frei als ich mich näherte und die jungen Fohlen tollten übermütig herum. Da stand ich nun, fast am Gipfel des Hospitales, umringt von diesen schönen Tieren und blickte über verträumt vernebelte Berge. Salzige Glückstränen liefen über mein Gesicht und nässten langsam aber stetig meinen Schal. Solche Gefühle möchte ich in die Welt hinaustragen. Sie teilhaben lassen an Dingen, die mir wirklich wichtig erscheinen und so unglaublich schön sind, dass es dir das Herz zerreißt. Könnte ich einen Link für dies Gefühl mit euch teilen, ich täte es gerne.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort stand. Aber ich weiß, dass ich diesen Moment in meine Seele tätowiert habe.
Ich lief weiter, immer weiter bergauf und befürchtete, nun bald vor Petrus Tür zu treten. Doch ich kam nur an den alten Mauerresten der Ruine vorbei, in der Eva in der Nacht Schutz vor Wind und Regen suchen wollte. So hielt ich Ausschau nach einem Zelt, doch inzwischen war es kurz nach 08:00 Uhr und ich vermutete, dass sie längst wieder unterwegs war. Ich lief somit ein wenig enttäuscht weiter, da ich mir eine Begegnung mit ihr nochmal gewünscht hätte. Kaum hatte ich den Gedanken fertig gedacht, schon stand sie vor mir. Kein Schicksal, sondern Zufall 😉.
Dem Strahlen ihres Gesichts entnahm ich, dass es ihr zumindest nicht unangenehm war mich wiederzusehen. Wir stapften gemeinsam los und blubberten und blabberten was Hirn und Mund hergaben. Unendlich viele Gedanken. Als ob das Laufen hier einen Motor antreiben würde.
Es gab aber auch kurze Momente des Schweigens, die man nur mit den „richtigen“ Personen teilen kann. Menschen, die du nicht nur riechen, sondern auch fühlen kannst.
Wir kamen an einer wunderschönen natürlichen Aussichts-Plattform vorbei und Eva bat, hier einen Moment zu verweilen. So setzten wir uns auf die Steine, zogen unsere Schuhe aus und blickten hinab auf den Salime-Stausee. (Der Salime-Stausee ist eine Talsperre des Río Navia im Westen Asturiens, die teilweise die Grenze zur galicischen Provinz Lugo bildet.)

Schweigen bringt dich der Natur näher. Du hörst, siehst, riechst und fühlst intensiver und spürst, dass du ein Teil von ihr bist. Warum vergessen wir das so oft?
Wir hatten noch ein ganzes Stück zu bewältigen und so brachen wir auf. Eva wusste noch nicht, wo sie ihr Zelt aufschlagen konnte, da sie Heringe in den Boden schlagen musste. Dies war bei diesem harten Schotterboden jedoch nicht möglich und im abfälligen Wald schon gar nicht. Der Weg zog sich und inzwischen war es auch wieder schwül geworden. Nach fast 38 Kilometern erreichten wir endlich den Staudamm und kurz darauf meine Unterkunft. Ich hatte von unterwegs noch schnell ein Zimmer in einem Hostel reserviert, da die Herberge schon voll war. Ein wenig gruselte uns die Gegend, in der es überwiegend verlassene und heruntergekommene Häuser gab, die in den aufragenden Felsen hineingebaut waren. Eine Geisterstadt und Eva hatte kurz überlegt, dort ihr Zelt aufzuschlagen, doch auch recht schnell wieder verworfen.

Während Eva sich nun vor dem Hostel auf der Bank ausruhte und überlegte, was sie tun könne, brachte ich meinen Rucksack ins Zimmer. Ich schloss die Tür auf und erblickte… zwei Betten! Nach kurzer Nachfrage und Bezahlen des Aufpreises stand fest: Eva teilte heute Nacht mit mir das Zimmer. Da kurz darauf ein schepperndes Gewitter zu hören war und draußen Hagelkörner vom Himmel peitschten, eine weitere der besten Ideen, die wir an diesem Tag hatten. Denn davon gab es heute ja viele 😉.
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