Der Abend war dann doch nicht so ruhig, wie ich es mir erhofft hatte. Die jungen Männer feierten ausgelassen im Aufenthaltsraum und hofften natürlich alles Weibliche integrieren zu können. Und so gestaltete sich jeder Gang zum Kühlschrank oder zur Toilette, wie ein Hindernis- Parcour. Da gab es den „Sorry-Klaus“(welcher sich dir in den Weg stellte, immer wieder betonte, wie leid es ihm täte, dass er so betrunken sei und behauptete, er heiße Klaus 😂), den „vernünfigen“ Marrokaner (welcher ebenso betrunken bemüht war, dich vor Klaus zu „retten“ 😉, den „Marihuana“- Argentinier (sehr daran interessiert in spanglisch eine Unterhaltung anzufangen, welche immer wieder das Angebot enthielt, doch mitzurauchen 😉), … u.v.m.. Monja kam sehr spät und abgeschlagen ins Hostel. Sie hatte sich natürlich mehrfach in Bilbao verlaufen (auch eine Woche hatte sie nicht zur Stadtführerin gemacht 🤷🏻‍♀️) und war zudem total durchnässt. Ich hörte mir kurz noch ihre verworrene Geschichte an (welche ich leider nicht wiedergeben kann, da sie für mich keinen vernünftigen Sinn ergab) und ging dann um 22:30 Uhr ins Bett.

Die Nacht wurde teilweise durch leichte Beinschmerzen und aufbrechende Zimmergenossinen unterbrochen, aber dennoch schlief ich inzwischen wesentlich besser ein und durch, als zu Hause 😊. Ich war um 6:15 Uhr hellwach und entschied aufzustehen, obwohl es erst um 8:00 Uhr Frühstück gab. Da dieses im Preis inbegriffen war, wollte ich es zum Start in den Tag unbedingt mitnehmen. Um 7:00 Uhr stand ich fertig in der Gemeinschaftsküche und machte schon einmal Kaffee. Und da ich nun noch Zeit hatte, konnte ich mit dem Blog-Eintrag des heutigen Tages schon einmal beginnen 😄. Was ich im Übrigen gestern vergaß zu erwähnen: Ich hatte mir in Bilbao den ersten (transportfähig kleinen) Elefanten für meine Sammlung gekauft:

Ich startete um 08:20 Uhr und lief noch gute 2 Stunden durch das imposante Bilbao. Eine Großstadt mit der Ruhe und Eleganz einer Raubkatze. Und genau eine solche entdeckte ich auf dem Dach eines Bauwerks. Stolz und kraftvoll! Müsste ich je in einer Großstadt leben, so würde ich Bilbao wählen.

Langsam näherte ich mich dem Ortsausgang. In ganz Bilbao war es äußerst schwierig sich an den geliebten Caminopfeilen zu orientieren, da sie so gut wie nicht vorhanden waren. Zumindest die selbstgesprayten waren nirgends zu entdecken. Es schien, als wolle sich Bilbao sein Stadtbild nicht mit ihnen „verschandeln“ lassen. Am Stadtrand standen für die sportmotivierten Passanten, Trainingsgeräte zum freien Gebrauch zur Verfügung. Das hätte, während des Lockdowns, auch in Deutschland einigen Trainigsjunkies durch die Pandemie verholfen 😉.

Nun ging es hinaus aus der Stadt und hinein ins Industriegebiet. Die anderen Pilger hatten Tage zuvor lange darüber diskutiert, ob sie diese Etappe per Bus überbrücken wollten. Es war kein Geheimnis, dass dies eines der häßlichsten Abschnitte des Caminos war. Auch ich hatte lange darüber nachgedacht, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass auch dieser Teil zu dem Weg gehörte, den ich begonnen hatte zu gehen. Das Wetter war ebenso trist, wie die Umgebung, die sich mir nun bot. Selbst die Berge, welche hinter den Industrie-Dinosauriern im Nebel zu sehen waren, konnten die Stimmung nicht heben. Auf diesem Teil der Strecke blieb dem Pilgerer keine andere Wahl, als auch über die tristen Dinge des Lebens nachzudenken. Und so wurde jeder Schritt ein wenig bleierner. Ich grübelte über das nach, wonach wir Menschen so strebten. Würden wir sie fragen, würden nicht alle das gleiche antworten? Glück? Und was machte uns glücklich? Was machte mich glücklich? Früher dachte ich, es würde mich erfüllen, die Menschen um mich herum glücklich zu machen. Ein Teil dessen zu sein, was sie zum Lächeln brachte. Doch die Last, die man mit diesem Wunsch trägt, ist langfristig zu groß. Zumindest für mich.

Ich traf im Übrigen auf diesem Weg nicht einen einzigen Pilger ☝🏻!

Auf diesem Teil des Caminos war keine Musik zu hören. Aus den geöffneten Rolltoren der Fabriken hörte man das Rattern der Maschienen und das helle Scheppern von Metallstangen. Manche Dinge auf diesem Weg erinnerten mich an… mich…

Wie viele von uns verstecken sich hinter einer aufgesetzten Fassade, obwohl der Kern darunter schon langsam zu bröckeln beginnt?

Mir wurde bewusst, dass es einen Sinn gemacht hatte, diesen Teil der Strecke nicht auszulassen. Er zwang mich zu Gedanken, denen ich mich sonst nicht sehr gerne stellte. Was, und ob das unterm Strich am Ende eine Bedeutung hatte, war zu diesem Zeitpunkt weder abzusehen noch relevant.

Nach langer Grübelei kam ich durch den netten Ort Getxo. Dort überbrückte ich mit einer „Gondel-Fähre“ den Golf von Biscaya und kam schließlich nach Portugalete!

Meine Knie hatten mich die Strecke fast schmerzfrei begleitet. Immerhin 16 km ☝🏻. Ich setzte mich unter eine Überdachung auf meinen eingepackten und eingerollten Schlafsack und aß etwas Brot, Käse und eine Banane. Es sollte hier eine Herberge geben, aber Fräulein Ehrgeiz quasselte wie wild auf mich ein, dass das heute wohl ja nicht alles gewesen sein konnte! Es war schließlich auch erst 13:00 Uhr☝🏻! Also entschied ich bis Pobena (Muskiz) weiter zu laufen. Ca. weitere 20 km. Nach wenigen Minuten brach Mimikus in Tränen aus und zitterte wie verrückt. Ich hatte das Gefühl, sie wollte sich auf den Boden werfen und mit ihren nicht vorhandenen Fäusten auf die Erde trommeln. Max äußerte ebenfalls (allerdings etwas ruhiger) seinen Unmut! Inzwischen schüttete es in Strömen und ich war kurz davor umzukehren und zur Herberge zu laufen. Auf der anderen Seite der Straße befand sich ein Spielplatz mit Sitzgelegenheiten. Ich ließ mich tropfend darauf nieder und legte erst einmal den Rucksack ab. Dann überkam mich Wut! Ich war konditionell noch bei Weitem nicht an meiner Grenze! Die Tatsache, dass nur meine Gelenke mich am Weiterkommen hinderten, machte mich rasend! Ich öffnete den unteren Seitenteil meiner Trekkinghosen, um an meine bloßgelegten Knie zu kommen, holte die neu erworbene Schmerzsalbe aus meiner Tasche und rieb beide dick ein. Dann wickelte ich alles, was ich finden konnte darum: meine Stulpen, die Knieschoner und Mullbinden! Ich konnte die Knie kaum mehr beugen! Total durchnässt und mit „besteiften“ Beinen lief ich los! Und es funktionierte!!! Ich kam fast schmerzfrei voran! Da juckte mich jetzt auch der aufkommende starke Wind nicht mehr. Allerdings ließen wieder die Pfeile auf sich warten und so lief ich nach der „Caminokarte“, welche wir vor einigen Tagen auf einem Blog entdeckt hatten. Und landete in einer Sackgasse 🙄.

Am Rand war ein Trampelpfad zu erkennen und ich stiefelte nun durch das klatschnasse Gras zu einem Zaun. Dort suchte ich einen „Durchschlupf“, da ich irgendwie auf die andere Seite der Autobahn musste. Zwei große bellende Hunde erschreckten mich zu Tode und ich musste an Adrian decken, der die spanischen Hunde so „unentspannt“ fand 😂. Irgendwann entdeckte ich eine selbstgezimmerte Gittertür, welche mit einigen Drähten verschlossen war. Ich löste diese und schlüpfte hindurch. Ich kam damit zwar dann zu einer Unterführung und somit auf die andere Seite der Autobahn, die anschließende Straße geleitete mich aber in die entgegengesetzte Richtung, in die ich musste. Mein Handyakku zeigte nun noch 8%. Auf meiner linken Seite befand sich eine kleine Bar und ich beschloss nun erst einmal einen Kaffee zu trinken und mein Handy etwas aufzuladen. Dort fragte ich die junge Frau an der Theke, wie ich denn wieder zum Camino del Norte kommen würde. Sie bot mir an, mich ein wenig zu begleiten. Ich müsste dann nur der „ roten Straße“ bis zum „ Family Relax“ folgen, und dann weiter bis zu einer Brücke. Dann immer weiter an der „roten Straße“ entlang. Irgendwann würden dann auch wieder Pfeile den Weg weisen.

Und tatsächlich war ich nun endlich wieder auf dem „richtigen“ Weg 😊. Der Regen ließ ein wenig nach und der weitere Verlauf konnte nun auch landschaftlich wieder genossen werden. Wie ein riesiges eingegrabenes Kamel unter einer Decke aus Wiese und Wald, lag ein Hügel vor mir, den es noch galt zu umrunden.

Kurz vor Pobena kam ich wieder an den Atlantik! Es war zwar kühl und sehr stürmisch, dennoch war der Ausblick atemberaubend schön…

In Pobena hatte mein Handyakku nun nur noch 3% und ich schaltete es erst einmal aus. In der nächsten Bar fragte ich nach der hiesigen Pilgerherberge und bekam zur Antwort, diese hätte geschlossen. Das wollte ich dieses Mal lieber selbst kontrollieren und bat, mir dennoch den Weg zu schildern. Somit lief ich eine steil bergauf führende Straße nach oben, überprüfte kurz den Wahrheitsgehalt der Aussage und humpelte betrübt die Straße wieder rückwärts nach unten. Ich googelte mit meiner Restakkuzeit ein kleines Hotel in Muskiz (somit von meiner gelaufenen Strecke wieder ein Teilstück zurück) und bat den Barbesitzer mir zu erklären, wie ich dorthin käme. Es fuhr direkt an diesem Platz ein Bus dorthin. Man darf ja auch mal Glück haben 😉. Das Hotel war eine verrauchte und sehr laute Kneipe mit ein paar Zimmern. Aber es hatte ein Bad mit Dusche und ein Bett. Für schlappe 55€ 🙄. Ich werde versuchen soooo gut zu schlafen, dass ich dieses Geld bis auf den letzten Cent ausnutze☝🏻!!! Die Schmerzsalbe hatte inzwischen eine allergische Reaktion ausgelöst 🙄… man gönnt sich ja sonst nix 🤷🏻‍♀️😂😂😂!