Neue „Wege“ integrieren Heimatfreude
Am gestrigen Abend gab es von Chefkoch Eloy eine tolle ‚Tortilla de patatas‘, die wirklich sehr gut schmeckte. Dazu trank ich ein Bier und die anderen einen Rotwein. Ich hatte über mein Handy eine Musik-Playlist laufen und wir witzelten am Tisch über belanglose Dinge. Nach dem guten Essen schnappte ich mir Adelina und zeigte ihr ein wenig Salsa und anschließend tanzte ich noch mit Eloy, der vor Jahren einen Kurs besuchte hatte und noch einige Tanz-Reste ausgraben konnte. Wir hatten jede Menge Spaß und der Abend ging gefühlt viel zu früh zu Ende.


15.07.21 Heute nacht hatte ich leider wieder kein Auge zugemacht. In manchen Herbergen sind die Matratzen hart wie Beton und ebenso fühlte sich mein Körper am kommenden Morgen dann leider auch an. So stand ich um 5:45 Uhr auf und packte schon einmal meinen Rucksack. Diesen hatte ich diesmal schon vorsorglich in den Vorraum gestellt, damit ich die noch schlafende Meute nicht störte. Adelina stand ca. 15 Minuten nach mir auf und kochte für uns beide eine große Kanne Kaffee 😍! Wir frühstückten noch zusammen und als ich meinen Rucksack holte, war auch Eloy schon am packen. Ich verließ die Herberge um 7:05 Uhr. Vielleicht hätten wir wieder alle zusammen laufen können, aber heute wollte ich alleine gehen. Da es voraussichtlich warm werden würde, zog ich trotz der morgendlichen Kühle eine kurze Hose an, zu der ich stylisch meine abgebundenen Beine mit den übergezogenen Stulpen und dem rechten Knieschoner trug. Die aufgehende Sonne gab dem Himmel einen goldenen Schimmer und mir einen kurzen Moment zum träumen.


Ich spürte eine unglaubliche Energie an diesem frischen Morgen. Meine Beine trugen mich mühelos über die noch einsamen Straßen und der Rhythmus meines Schrittes hatte gefühlt von Blues auf Rock‘n Roll gewechselt. Ich fühlte nichts außer der feuchten Luft auf meiner freien Haut. Mein Gehirn lief wohl noch im ‚Stromsparmodus‘, denn es gab weder fröhliche noch quälende Gedanken. So lief ich in den Tag hinein, ohne Erwartungshaltung, ohne Zeitdruck, aber mit einem Ziel: Lourenza! Ich hatte inzwischen das Baskenland und Asturien durchquert und war nun in Galicien angekommen. Zwischen Asturien und Galicien gab es spontan und offensichtlich erst einmal nur einen Unterschied: Kein Netz! Doch aufgrund der guten Beschilderung und meiner Camino-App war dies im Moment kein allzu großes Problem.

Auf einsamen Wegen ließ ich zwischendurch ein wenig Musik laufen, die jedoch sensible Emotionen hervorrief und so machte ich diese schnell wieder aus. Leider war der Gefühlsschalter nun aber schon aktiviert. Ich kämpfte mit den immer wieder aufkommenden Tränen und als ich spürte, wieviel Energie mich diese Zurückhaltung kostete, setzte ich mich an einen etwas abgelegenen, jedoch sehr schönen Platz und ließ die Gefühle einfach zu. Warum weint man, wenn man sich doch in einer wunderschönen Landschaft auf einem Weg mit herrlicher Aussicht befindet? Vielleicht, weil man mit so viel Glück überfordert ist. Weil man weiß, dass man es nicht einfach einpacken und mitnehmen kann.


Ich beruhigte mich und beschloss Eloy und Adelina auf dem Camino eine weitere Nachricht zu hinterlassen, da Eloy seine erste vor einigen Tagen nicht entdeckt hatte. So suchte ich einen passenden flachen Stein und schrieb: ‚Hola Eloy + Adelina. You are on the camino! 😊‘ und legte diesen mitten auf den Weg!

Ich ging davon aus, dass beide heute zusammen auf dem Weg waren und sich über diese Nachricht freuen würden. So schlenderte ich in durchaus besserer Stimmung weiter und überholte mit meiner heutigen Energie einige, mir unbekannte Pilger. Der Weg war nicht besonders anspruchsvoll und somit blieb wieder viel Raum für Gedanken. Natürlich dachte ich nun immer häufiger an zu Hause und an mein Leben dort. Es gab sicher auch Dinge, welche ich gerne verändern wollte. Aber ich bin kein naiver Träumer. Ich weiß, dass ich in 6 Wochen nicht zu einem anderen Menschen geworden bin. Aber ich sehe mit diesen 6 Wochen Abstand manche Dinge etwas klarer und kann, bei einigen bisher wackeligen Lebenssituationen, eine nun deutliche Richtung erkennen. Und ich habe gelernt, mich anzunehmen.


In einer kleinen Bar bestellte ich einen Kaffee und ein Eis und versuchte abzuschalten. Der Eigentümer fragte mich, woher ich heute käme und ich antwortete: „Ribadeo“. Daraufhin brachte er mir einen kleinen Snack: Chicken in Öl mit Zwiebeln und Paprika! Ich beschloss dem netten Barbesitzer zuliebe, dass ‚Hühnchen‘ heute mal vegetarisch ist 🤷🏻♀️, und gebe zu, dass es durchaus sehr lecker war!

Auf dem letzten Stück der Etappe hatte ich das Bedürfnis, mit jemandem aus der Heimat zu telefonieren. Vielleicht, weil ich in zumindest einem Punkt einen Entschluss gefasst hatte, oder auch, weil ich mich nach einer bekannten Stimme sehnte. Ich quartierte mich in einer Herberge mit leider weiteren ,Steinmatratzen‘ ein, holte mir im Supermarkt einige Dinge für mein leibliches Wohl und setzte mich mit einem kalten Milchkaffee bewaffnet auf die sehr schöne Terrasse der Herberge. Dann nahm ich mein Handy zur Hand und rief den Menschen an, den ich in diesem Moment sprechen wollte. Während unseres Telefonats betrat Adelina die Terrasse und ich freute mich sehr, sie zu sehen, brach das Gespräch jedoch nicht ab. Nach dieser ca. 1,5- stündigen Unterhaltung in die „Heimat“, fühlte ich mich gut, und die Wehmut bezüglich des für mich nahenden Endes meiner Reise hatte deutlich nachgelassen.

Auch Eloy war eingetroffen. Ich mochte ihn noch immer sehr gerne, jedoch war mir auch Adelina inzwischen sehr ans Herz gewachsen und ich spürte zwischen Eloy und ihr eine noch etwas stärkere Verbindung. Adelina und ich saßen noch lange zusammen, führten ernste und weniger ernste Gespräche und ließen den Tag ausklingen. Ich gehe mit der Erkenntnis ins Bett, die kommenden Tage genießen zu wollen und mich dennoch auch auf zu Hause freuen zu dürfen.
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