Endlich einmal wieder eine Nacht ‚fast‘ durchgeschlafen und nun strotzt mein Körper um 6:00 Uhr voller Energie! Am liebsten hätte ich sofort durchgestartet, aber die gestern mit Hand ausgewaschenen Klamotten hängen noch mehr als feucht auf den Bügeln. Das größte Unglück ist jedoch, dass ich ein Paar meiner Socken wohl in einer der letzten Herbergen zurückgelassen hatte und mich nun die anderen beiden Paare feuchtfröhlich angrinsten. Nun begann das große ‚Socken fönen‘, denn zum Glück im Unglück war ein geeigneter Haartrockner ausnahmsweise einmal anwesend. Dieser pustete nun die Feuchtigkeit der benötigten Fußbekleidung so lange heraus, bis der Badezimmerspiegel völlig angelaufen war. Man muss Prioritäten setzen: schönes Näschen oder trockene Füße 🤷🏻‍♀️. Ich schien tatsächlich mal wieder die erste am frühen Morgen zu sein, denn als ich den Raum zum frühstücken betrat, war dieser, bis auf den netten Mann hinter der Theke, völlig leer. Dieser wurde nun etwas hektisch, da er noch am Vorbereiten war und wohl nicht so früh mit einem Gast gerechnet hatte. Ich nahm auch an, dass außer mir alle ausschliefen, da die heutige Etappe nur 20 km hatte. Ich dachte ernsthaft darüber nach heute zwei zu laufen, da Fräulein Ehrgeiz seit einiger Zeit wieder aktiv war. Und da Max und Mimi sich sehr ruhig verhielten, war das zumindest eine Überlegung wert. Ich startete nun doch später als erhofft und war um 7:20 Uhr auf dem Weg. Allerdings auf dem falschen (‚You are not on the camino…‘🙄). Also kehrte ich nach dieser Erkenntnis um, und suchte den Einstieg in den Weg der ‚yellow arrows‘. Ich liebe es in den Tag hineinzulaufen! Ich glaube tatsächlich, dass es keine schönere Tageszeit gibt, als das Erwachen des Stückchens Erde, das dein Auge wahrnehmen kann.

Ich lief in einem guten Rhythmus und passierte einen älteren und humpelnden Franzosen. Ich gesellte mich etwas zu ihm, da ich sein Leiden so gut nachempfinden konnte. Er war in Frankreich gestartet und nun schon über zwei Monate auf seinem Weg. Davon gute 4 Wochen humpelnd. Auch die Knie! Ich gab ihm ein paar Tips, die er tatsächlich noch nicht kannte und ausprobieren wollte. Den ‚Reverse- Movie-Move‘ schlug ich ihm nicht vor, da ich befürchtete, er könnte dabei stürzen. Ich wünschte ihm nach ca. 20 Minuten gemeinsamen Weges einen „buen camino“ und zog das Tempo wieder an. Es war tatsächlich unglaublich, welche Wegstrecke man mit zwei gesunden Beinen zurücklegen kann! Nach 2 Stunden hatte ich die ersten 10 km zurückgelegt. Bei diesem Tempo wäre ich noch vor 12:00 Uhr in Vilalba. Nun war die Strecke aber auch überwiegend eben und lief kerzengeradeaus. Ich suchte ein Cafe auf, um die Zeit etwas zu strecken, und verweilte dort, ebenfalls als einziger Gast, ca. 20 Minuten.

Ich weiß nicht, weshalb es mich trieb, ob es Flucht oder Anziehung war. Vielleicht beides. Ich fühlte mich inmitten zweier Magneten, von denen der hintere der Minus- und der vordere der Pluspol war (in diesem Fall wäre ich dann wohl auch ein ,Minus‘ 😂). Ich sage damit nicht, dass die kurze Camino- Vergangenheit negativ zu werten ist, im Gegenteil! Sie war mein Antrieb. Und nun wollte ich wissen, was noch folgt. Neue Begegnungen und neue Eindrücke sammeln. Auf einer kleinen Farm lief mir ein Schäferhund schwanzwedelnd entgegen, als ob er auf mich gewartet hätte. Es muss noch ein recht junges Tier gewesen sein, da er sofort anfing mit mir zu spielen und vorsichtig nach meiner Hand zu greifen. Er lief immer wieder zurück zu seinem Herrchen, der sich unser Treiben belustigt anschaute, und wiederholte dann sein munteres ‚Zulauf-Spiel‘. Ich genoss es, endlich eines dieser Tiere auch mal streicheln zu können.

Mein heutiger Weg war vielleicht auch Trotz und Hohn gegenüber der langen schmerzhaften Zeit. Ich wollte mir und der stummen Natur zeigen, welche Kraft in mir steckt. Als ich über eine Brücke kam, stand an der Holzvertäfelung geschrieben: „Stop and breathe. You are loved.“ Ich stand davor, atmete tief ein und sagte lächelnd: „Ich weiß!“

Es gab immer wieder etwas zu entdecken. Ich kam beispielsweise an einer Mauer vorbei, vor der jemand die Buchsbäume in Sessel, Tische und Stühle verzaubert hatte. Ich war kurz davor die ‚Buchsbank‘ zu testen, vertraute dem pieksigen Gestrüpp dann aber doch nicht.

Ich war um Punkt 11:40 Uhr im Zentrum von Vilalba! Das bedeutete, ich hatte in exakt 4 Stunden 20 km zurückgelegt! Ich beschloss lieber doch hier zu enden, da die nächste Übernachtungsmöglichkeit erst in 25 km zu finden war. Nun klapperte ich die Herbergen ab. Ohne Erfolg! Alle ausgebucht 🙄. So schaute ich nach einem ,günstigen‘ Hotel für 40€. Das Zimmer tröstete mich ein wenig über den finanziellen Verlust hinweg, aber ich musste dringend nun anfangen, meine Übernachtungen zu planen. Es stießen immer mehr Pilger zu uns, und die Plätze waren rar. Wir konnten uns aufgrund der Corona- Lage nicht einmal sicher sein, ob sie die Herbergen offen lassen würden.

Ich war nun schon um 12:30 Uhr auf meinem Zimmer und eine Stunde später vom Inhalt meines Rucksacks gesättigt und frisch geduscht. Somit beschloss ich, die Stadt zu erkunden. Leider gestaltete sich Vilalba zu einer großen Enttäuschung. Die Stadt ist sehr verwahrlost und hat kaum schöne Stellen zu bieten. Ich setzte mich in das einzige Cafe, welches sich in einer Art Park befand und trank meinen inzwischen dritten Kaffee. Als ich aufstand und mich auf dem Weg zum Supermarkt machen wollte (morgen war Sonntag und ich brauchte Wegesnahrung), da saßen auf einer Steinbank Eloy und Adelina und aßen einen Salat aus dem ‚Eroski’. Eloy rief sofort, dass könne doch nicht wahr sein und gefühlt ging es mir ebenso. Ich setzte mich kurz zu ihnen, und Eloy fragte, ob wir später zusammen an einen Fluss gehen wollten. Dort gäbe es einen ‚Beach‘ und wir könnten seinen Abschied feiern. Ich hatte mich nun schon zwei Mal von ihm verabschiedet, da ich immer der Meinung gewesen war, ihm nicht mehr zu begegnen. Ich meinte, ich würde darüber nachdenken und eventuell später noch dazustoßen. Irgendwie werde ich dieses Murmeltier wohl einfach nicht los 🤷🏻‍♀️.