Die Tage plätschern so dahin. Aufgrund des Schlafmangels fühlte sich der Körper taub und schlaff an, aber das war nur eine unschöne Nebenerscheinung. Der Kopf macht mir mehr zu schaffen. Wenn ich morgens aufstehe, denke ich schon über den Abend nach. Mein Hirn kreist ununterbrochen um das Thema Getränk. Woran halte ich mich heute Abend fest? Wird es ein langer Abend? Kann ich den Gesprächen folgen und was macht es mit mir, wenn mein Sitznachbar einen Aperol Sprizz trinkt?

Tatsächlich sitze ich dann am Ende des Kurses vor einem Glas Grapefruitsaft mit Wasser und einem Schuss alkoholfreien Sanbitter und nuckle an einem unserer wieder verwendbaren Plastikröhrchen. Wie früher schenke ich mir mindestens 3 mal nach. Ich versuche mich auf die Gespräche zu konzentrieren, die sich oft um Alkohol drehen. Alte Geschichten aus der Jugend. Wie der junge R. alkoholisiert Auto gefahren ist und gerade noch so der Polizei entging. Und der Tisch lacht. Ich auch, was soll ich auch sonst tun?

Die Kunden, die mein Outing wahrgenommen haben, bemühen sich zurückhaltend zu sein und werfen mir manchmal einen verstohlenen Blick zu. Aber es ist in Ordnung. Ich muss lernen damit umzugehen und da nützt es mir nicht, wenn man mich schont. Das möchte ich auch gar nicht.

Ein guter Freund hat mir eine stärkere Schlaftablette mitgegeben, von der ich die letzten 2 Nächte je eine Hälfte genommen habe. Diese hat mir jeweils gute 4-5 Stunden Schlaf beschert und jetzt fühlt sich der Körper nicht mehr so wattig und kraftlos an. Das Hirn schon.

Meiner Ärztin (Es handelt sich um die Gemeinschaft eines Arztes und einer Ärztin) hat mir neue, etwas stärkere Antidepressiva verschrieben, welche ich artig in der Apotheke besorgt habe. Genommen habe ich noch keine. Ich fühle mich minderwertig und schwach bei jeder Einnahme dieser Tabletten. Meine ehrgeizige Seele möchte es ohne Medikamente schaffen. Dafür rauche ich nun fast jeden Abend eine halbe bis ganze Zigarette. Beim Besuch eines Freundes sogar mehr. Das muss aufhören!

Früher war ich froh, wenn jeder Tag zu Ende ging, weil er schwer und bleiern auf meiner Seele lag. Möglicherweise begünstigt durch den täglichen Alkoholkonsum. Jetzt bin ich froh, wenn jeder Tag zu Ende geht und ich ihn alkoholfrei überstanden habe. Ich sehne mich nach einer Zeit, in der ich Tage einfach nur genießen und fühlen kann. Und ich bin hoffnungsvoll, dass diese Zeit wieder kommen wird.

Am 11.Mai habe ich meinen ersten Termin bei einer Suchtberaterin. Die Dame am Telefon, mit der ich vorab sprach, war unglaublich freundlich und motivierend. Als ich ihr sagte, dass ich erst seit dem 19.April trocken bin, feierte sie meinen Erfolg, als ob sie selbst gerade eine schwere Krankheit besiegt hätte. Sie gab mir das Gefühl stolz auf mich zu sein, obwohl sie mich überhaupt nicht kannte. Meine Mutter hätte wohl genauso reagiert. Ich fühlte mich spontan gut aufgehoben.

Heute Abend ist Tanz in den Mai. Leider sind nur wenige Paare zur Tanzparty angemeldet und zusätzlich wachte ich heute morgen wieder mit Halsschmerzen auf. Das Antibiotikum hatte wohl seine Arbeit nicht abschließend erfüllt. Da ich noch eine alte angebrochene Packung besitze, habe ich nun gleich wieder etwas eingeworfen. Ich hasse es, kann mir aber eine weitere Krankheitsphase einfach nicht erlauben :-(!

Auch während der Corona Online-Partys war der Alkohol natürlich stets präsent

Ich werde eine kleine Schüssel Bowle machen, ohne diese abzuschmecken. Und ich werde heute Abend die wenigen Paare gut unterhalten. Das ist mein Job und diese Menschen haben es auch verdient. Und außerdem bin ich Profi.

Sollte es mir morgen gesundheitlich gutgehen und das Wetter einigermaßen mitspielen, dann werde ich wandern gehen. Irgendwo, wo kein Rummel ist. Und ich werde Bäume umarmen und in den Wald hineinschreien.

Vielleicht aber nur ganz leise.

Das passende Glas Sekt-Aperol zum Lächeln.

Neben dem Wasser durfte mein Weißwein mit Aperol nicht fehlen.

Nach jeder Veranstaltung eine ‚Belohnung‘.