26.05.2022

Am Montag war ich nun zum ersten Mal bei einem Gruppentreffen. Die Regeln sind klar definiert: Was hier im Raum gesprochen wird oder passiert, bleibt im Raum. Daran werde ich mich selbstverständlich halten.

Ich betrat nun also diesen Raum und setzte mich auf einen Stuhl direkt am Fenster. Da saß ich nun und mein erster Gedanke war tatsächlich: ‚So weit hast du es also kommen lassen.‘ Völliger Blödsinn! Denn der Gang zu diesem Treffen war mitnichten ein weiterer Abstieg meines Alkoholismus, sondern ein möglicher Gewinn für mein weiteres abstinentes Leben. Den Tiefpunkt hatte ich vor einigen Jahren schon längst erreicht.

Ich war aufgeregt und neugierig. Voller Erwartung auf die Erzählungen der anderen. Ich wollte hören und fühlen, dass es Parallelen zwischen diesen völlig unterschiedlichen Menschen gab- zwischen UNS! Gleiche Gedanken, Emotionen, Handlungen. Ich hatte kein Bedürfnis von mir zu erzählen, denn meine Geschichte war mir ja bekannt. Ich hoffte auf ein Gefühl der Verbundenheit, des Gleichklangs. Das Wissen zum Gefühl machen: Ich bist nicht allein!

Ich wurde dann aber doch mehrmals gefragt, ob ich nicht etwas von mir erzählen wolle und gab dieser Frage kurz nach, um nicht verstockt oder arrogant zu erscheinen. Doch es hungerte mich tatsächlich mehr nach Antworten, die ich durch die Berichte der anderen zu erhalten gehofft hatte.

Eine Stunde ist definitiv zu kurz um diese Antworten zu erhalten. Es lässt sich schwer auf die Probleme der Einzelnen im Detail eingehen und somit werden viele Geschichten nur angerissen, ohne dann wirklich in die Tiefe zu gehen. Doch genau da möchte ich gerne hin. In die Tiefe ihrer Seelen und ihrer Gedanken. Ich beobachtete ihre Gesichter und versuchte ihre Stimmungen zu deuten. Nachzufühlen, wie es ihnen hier erging. Ich wollte einen Rückblick in ihr Leben und verstehen, warum es so weit gekommen war. Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Die Depressionen oder der Alkohol?

Inzwischen scheinen Gerüchte zu kursieren, die den Ursprungs-Grund meiner Abhängigkeit betreffen. Einige davon kann ich bedenkenlos ausschließen, aber ich warte noch auf den selbsternannten ‚Danni-Versteher‘, der ja möglicherweise tatsächlich zufällig auf den realen Grund stößt. Denn mir selbst ist er leider nicht bekannt.

Ich vermute: Wie viele andere Jugendliche begann ich, allerdings recht früh mit 13 Jahren, Alkohol zu konsumieren um ‚Dazu zu gehören‘. Ausschweifende Partys, die nicht selten in der Rückgabe des Mageninhalts endeten, waren fast eine wöchentliche Regel. Mit 18 Jahren hatte ich auf meinem ersten Tanzlehrerkongress in Mainz eine Alkoholvergiftung mit 2,8 Promille. Damals zeichnete sich schon ab, was mein Körper vertrug. Schon ab 2 Promille besteht eine Schockgefahr, die im schlimmsten Fall zum Tode führen kann. Ich kam damals in die Uniklinik und mein Magen wurde erst einmal ausgepumpt und mögliche Reste noch mit Salzwasser, welches mich zum Erbrechen brachte, entfernt. Dennoch lag ich anschließend noch auf der Intensivstation. Mindestens 2 dieser Tage sind bis heute aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich kann mich nur noch an den Würgereiz und das Brennen der Speiseröhre erinnern. Der Grund? Wir haben gefeiert. Mehr Grund brauchte ich anscheinend nicht. Kein Liebeskummer (was im Übrigen damals vermutet wurde), kein Streit, keine schlechten Neuigkeiten. Einfach nur keine Trink-Disziplin und die damals sicher sehr fragwürdige Aussage meines Chefs, alle alkoholischen Getränke zu übernehmen, da diese natürlich teurer waren.

Ein einmaliger Ausrutscher macht sicher auch nicht jeden gleich zum Alkoholiker. Aber die Tatsache, dass ich deutlich mehr trinken konnte als meine Altersgenossen, barg schon ein gewisses Risiko. Um nämlich den gleichen Feierpegel zu erreichen, musste ich deutlich mehr und somit auch deutlich schneller trinken. So zumindest startete meine Alkohol-Karriere.

Mit schätzungsweise 15 Jahren. Alkohol trinken war in dieser Zeit schon ein fester Bestandteil meiner Freizeitbeschäftigung.
Auszug aus dem Elternhaus. Nun ging es nach Stuttgart zur ADTV Tanzlehrer-Ausbildung
18 Jahre. Das Bild entstand kurz nach meinem Ausbildungsstart.

Der Beruf des Tanzlehrers oder des Gastronoms macht aus uns ebenfalls keinen Alkoholiker aber es erleichtert der Sucht ihre Zielgruppe zu finden. Jeden Abend ein gemütliches Zusammensitzen nach den Kursen bei einem Gläschen Wein fördert nämlich nicht nur den Getränke-Umsatz an der Bar, sondern nährt den Boden der immer näher rückenden Sucht. Zu dieser Zeit sind die Alarmglocken allerdings noch nicht einmal zu hören.

Getrunken habe ich also seit meinem 13 Lebensjahr. Wann genau es dann zur Sucht wurde ist schwer zu definieren, wie ich schon in einem vorherigen Beitrag erwähnt hatte. Dennoch kann ich sagen, dass ich vor ca. 10-12 Jahren anfing, im Freundeskreis immer wieder einmal zu erwähnen, dass ich glaube Zuviel zu trinken. Selbst während der Jahre meiner Essstörung knallte ich mich mit Alkohol zu, obwohl mein Körper zu dieser Zeit sicher die ungünstigste Ausgangslage hatte. In der Gesellschaft hatte hier niemand offene Ohren. Man nahm meine Vermutung einer Abhängigkeit eher schulterzuckend hin und verwies auf das nicht vorhandene Zittern an einem krankheitsbedingt abstinenten Tag. Ich war ein guter Saufkumpel und den wollte man möglicherweise nicht einfach so aufgeben. Außerdem hätte der ein oder andere vermutlich dann auch in sich selbst hineinhören müssen oder der gute Kumpel Alkohol hätte womöglich ein schmutziges Image bekommen. Krass! Denn er HAT ja ein schmutziges Image!

Gestern, am Mittwoch, war ich nochmal bei der netten jungen Suchtberaterin und ihrem tollen jungen Labrador. Ich denke, wir sind uns beide einig, dass der Alkohol nicht mein Grund-Problem ist. Er hat mir nur dazu verholfen, meine Tage und damit mein Denken abzukürzen. Denn das Problem liegt in meinen Gedanken. Wenn ich früher völlig zugedröhnt nach Hause ging oder mir spätestens hier die Birne völlig taubgetrunken hatte, war es still in meinem Kopf. Zumindest wenn es um klare und oft grübelnde Gedanken ging. Nun hört es nicht mehr auf und da ich wenig schlafe, habe ich fast 20-24 Stunden mit Dingen zu kämpfen, die mich nicht ruhen lassen. Ich sagte der jungen Beraterin, dass mein Gehirn und mein Seelenleben verschiedene Wege gehen. Ich habe sogar manchmal das Gefühl, dass sie in Konkurrenz zueinander stehen. Sie buhlen um meine Aufmerksamkeit und um ihren ersten Platz in unserer Zwangs-WG. Ohne den Rauschzustand habe ich manchmal das Gefühl durchzudrehen. Aber umkehren werde ich deshalb nicht. Im Gegenteil treibt es mich eher nach vorne. Wenn mir Ärzte und Therapeuten bis jetzt nicht helfen konnten, gibt es möglicherweise andere- zusätzliche Wege.

Es gab einen Tag, da habe ich zu meinem Therapeuten gesagt: ‚Ich bin bereit alles zu tun, um wieder das fühlen zu können, woran ich mich heute nur noch schwach erinnere. Wenn Sie mir sagen, ich muss von einem 10 Meter Turm ins trockene Becken springen, um mein Ziel zu erreichen, dann tue ich es!‘

Es wird sicher nicht das trockene Becken, aber ich werde springen! In jede noch so kleine Pfütze in deren Spiegelung ich auch nur einen winzigen Teil dessen erkenne, was mir Hoffnung macht.

Wake me up.