Schon in der Nacht wurde deutlich, dass der kommende Tag schwer werden würde. Es begann mit Zahn- und Kieferschmerzen auf der linken Gesichtsseite. Diese zogen weiter bis ins Ohr und auch der restliche Körper signalisierte deutlich, dass er sich nicht gesund fühlte: Gliederschmerzen! Mein linkes Bein zeigte auch wieder deutliche Schwellungen am Knöchel. Um 7:00 Uhr klingelte mein Wecker, doch ich hatte kaum geschlafen und fühlte mich nicht in der Lage aufzustehen. Ich trank etwas Wasser und blieb noch bis 8:45 Uhr liegen. Allerdings war mir bewusst, dass ich bald eine Entscheidung über den heutigen Tag fällen musste. So stand ich schwerfällig auf und unterzog mir erst einmal einer heißen und langen Dusche. Anschließend packte ich mich warm ein, obwohl der Blick aus dem Fenster einen offensichtlich regenfreien Tag ankündigte. Aber mir war kalt! Fast 1,5 Std. googelte und „appte“ ich herum, um einen geeigneten Plan zu finden. Die nächste Etappe zeigte gute 34 km an. In meinem momentanen Zustand traute ich mir diese nicht zu. Die Splittung der Strecke gestaltete sich jedoch schwierig, da es in den kleineren Orten dazwischen keine Übernachtungsmöglichkeiten gab. Inzwischen war klar, dass es sich für kleinere Hostels und Herbergen aufgrund der Vorlagen nicht lohnte zu öffnen. Die einzige Möglichkeit war Islares, nur knappe 9 km entfernt, mit einem Hotelzimmer für 32€. Die kurze Strecke lag für mich nicht im Verhältnis zur „teuren“ Nacht, aber es war die bessere Wahl, als hierzubleiben und weitere 35€ zu bezahlen.

Max hatte deutlich mehr abfangen müssen 😕.

Ich ließ mir von dem freundlichen Herrn an der Rezeption das Zimmer in Islares reservieren und stapfte wie ein Marshmellow- Männchen um 11:10 Uhr los. Ich wollte erst einmal meine medizinische Selbstversorgung mit Matereal aufstocken (Kamille, Vitamin C, Ibu…), aber beide Apotheken, welche ich ansteuerte, hatten zu (um 11:20 und 11:32 🤷🏻‍♀️)!

Da ich nun viel Zeit für eine sehr kurze Strecke hatte, gab es drei Möglichkeiten: den vorgegebenen Camino (8,9 km), die Strecke entlang der Straße (vom Hotel aus 8,5 km) oder den Weg entlang des Meeres (konnte nicht ergoogelt werden 🙄. Waren dann aber ca. 10-11 km). Ich entschied mich für den Atlantik und habe es nicht bereut!

Erstmalig kam ich direkt an einigen Friedhöfen vorbei. Man hatte den Eindruck, es wäre den Hinterbliebenen wichtig gewesen, dass ihre lieben Verstorbenen weiterhin den Blick auf‘s Meer hätten. Und tatsächlich empfand selbst ich die Stimmung, die diese Orte ausstrahlten, als tröstlich.

Die Sonne hatte sich durchgesetzt und warf ihr fröhliches Licht auf die traumhafte Landschaft. Inzwischen hatte ich mich auch nach und nach „entblättert“, da es sehr warm geworden war. Da ich nun ohne Vorgabe irgendwelcher Karten einfach Richtung Westen lief, steuerte ich zwischendurch auch Wege an, die nicht eindeutig ans Ziel führten. Inzwischen lief ich an einer Straße entlang, von dem rechts ein Weg hinunter ans Meer führte. Ich bog ab um zu sehen, ob dieser mich wieder an der Küste entlang führen würde. Unten standen 2 junge Paare, die wohl gerade beschlossen hatten umzukehren, da der Weg hier augenscheinlich endete. Ich lief dennoch weiter und kam auf einen Trampelpfad, an dessen Rand eine Art kleine Gedenkstätte aufgebaut war. An einer schmalen Metallstange, welche aus dem Boden ragte, hingen Blumen und ein sehr sorgfältig eingepackter Zeitungsartikel. Was immer auch passiert war, diese Stätte hatte für irgendjemanden eine große Bedeutung. Und ich fühlte mich ein wenig geehrt, dass mein Weg mich dorthin gebracht hatte. Ich stand lange davor und trauerte um einen Menschen, den ich nicht gekannt hatte. Vielleicht aber auch um jemanden, den ich eventuell verloren hatte. Der Weg endete dann doch sehr abrupt an einer steil abfallenden Felswand und ich lief zurück an die Straße.

Hier kam ich nach einiger Zeit wieder auf den offiziellen Camino und freute mich darüber. Gleich zu Beginn kam mir zur Begrüßung ein Pferd entgegen, welches sich offensichtlich über menschlichen Besuch freute. Da ich außer einer Banane an diesem Tag noch nichts zu mir genommen hatte und es kurz nach 13 Uhr war, entschloss ich, meinen Apfel mit dem Pferd zu teilen 😊. Und weil sich dieses so sehr darüber freute, bekam es auch die größere Hälfte 😄.


Nun folgte ein wirklich schönes, wenn auch kurzes Waldstück, in dem ich auf eine spanische Familie mit zwei Dackeln traf. Erst einmal nicht ungewöhnlich, da hier in Spanien gefühlt jeder Zweite mindestens ein bis zwei Hunde besitzt. Aber einer der Dackel war etwas ganz besonderes! Seine Hinterläufe waren gelähmt und man hatte ihm ein Laufgestell umgebunden, mit dem er wie wild durch Matsch und über Baumwurzeln rannte. Dabei trug er zusätzlich einen großen Stein im Maul. Ab und an blieb er an größeren Hindernissen hängen und meldete sich dann lauthals, aber seine Lebensfreude trübte dies kein bisschen. Trotz dem Balast, den er trug und seiner Behinderung lief dieser kleine Hund seinen Camino mit viel Freude und großem Willen. Und er schämte sich nicht, zwischendurch auch Hilfe anzunehmen. Wenn er gewusst hätte, wieviel Kraft mir das gab 😄!

Meine gesundheitliche Verfassung besserte sich mit jedem weiteren Schritt. Die eventuelle Entzündung im Kiefer konnte ich zwar nicht wegignorieren, aber der doch sehr entspannte Weg tat mir dennoch gut.

Mitte unten: Traumhaft blühende Rhododendrien, die sowohl meinem Vater als auch seiner Frau Ingrid sehr gefallen würden 😉.

Mein Hotel lag kurz nach dem Ortsausgang und erwies sich als echter Glücksgriff! Zwar lag es direkt an der Straße, hatte aber eine tolle Atmosphäre und für 32€ das schönste Zimmer, was für diesen Preis zu haben war! Alles war sehr sauber und das Personal sehr aufmerksam. Ich erfuhr, dass ich frühestens morgen an eine Apotheke käme, aber das störte mich nicht. Ich gönnte mir eine Tasse Kaffee, setzte mich vor das Hotel in die Sonne und legte die Beine hoch 😊. Und zur Beruhigung für die Menschen, die sich doch ein wenig Sorgen machen, habe ich ein Ganzkörperfoto gemacht. Und… es ist alles noch dran ☝🏻😂!

Morgen habe ich 32 km geplant. Es geht nach Santon(j)a. Dort gibt es für 12 € eine Pilgerherberge, welche ich heute schon buchen könnte. Ich warte meine Verfassung morgen noch ab, bin aber optimistisch 💪🏼! Jetzt gibt es zum Abschluss des Abends noch ein Radler und dann geht es früh ins Bett. Morgen möchte ich zeitig los um mir die Strecke gut einteilen zu können. Kaffee gibt es hier schon ab 6:30 Uhr 💪🏼.