Ich kam erst um 9:50 Uhr los und lief somit etwas zügiger. Nach wenigen Kilometern entdeckte ich vor mir einen Pilger in einer senfgelben Jacke und vermutete meine Boots-Begegnung vom Vortag. Ich holte ihn ein, als er per Handy den Weg checkte und bemerkte sogleich, dass es nicht der junge Slowene war. Ich lief mit einem fröhlichen „buen camino“ an ihm vorbei, als er plötzlich meinen Namen rief. Ich drehte mich erstaunt um und vor mir stand… mein „Holländer“ aus Amsterdam, der sich nun recht schnell als Schweizer herausstellte 😂 und sich mit „w“ in der Mitte schrieb: Dawid! Die Tatsache, dass er in Amsterdam gestartet war, hatte mich vermuten lassen, dass er dort auch ansässig wäre. Nun erklärte sich auch sein sehr gutes Deutsch 😉. Dass ich ihn nochmals treffen würde, hätte ich jedoch nie vermutet, da er ja unter Zeitdruck stand. Er erklärte aber, er hätte alles gut geplant und wäre sogar einen Tag im „Plus“. Irgendwie entwickelte es sich, dass wir die ganze Etappe miteinander laufen sollten. Beide waren wir ausgehungert an Kommunikation und es stellte sich zudem heraus, dass unsere Gespräche auch eine wertvolle Qualität erhalten würden, da er ein sehr interessanter und belesener junger Mann war. Er bevorzugte die kürzere Route entlang der Straße und da ich seine Gesellschaft sehr genoss, schloss ich mich dieser Entscheidung an.

Nicht jeder Blick begeistert das Auge. Dennoch gehören auch diese Bilder zu unserem Pilgerweg.

Wir redeten über unsere Intensionen des Pilgerns und die Wahl des jeweiligen Caminos. Es ist schön mit einem Menschen darüber zu sprechen, der das Gleiche empfindet und nichts hinterfragen muss, weil die Antwort klar ist. Er berichtete von seiner wochenlangen und oft einsamen Pilgertour durch Belgien und Frankreich. Von seinen 6 Paar Schuhen, welche er schon verschlissen hatte, zusätzlich zu einem Fahrrad (welches er gekauft hatte, als er wegen der Blasen nicht mehr laufen konnte) und einem Regencape. Es war interessant und kurzweilig ihm zuzuhören. Er sagte auch: „der Stein ist nicht in Deinen Beinen, er ist nur in deinem Kopf“, als es darum ging, dass negative Gedanken den Gang erschweren.

Irgendwann kamen wir auf unser Alter zu sprechen und er fragte mich, wie alt ich ihn schätzen würde (🙄ich bin nicht wirklich gut darin). Aufgrund seiner Art und seiner vielen Lebensgeschichten, hatte ich auf ca. 40 Jahre getippt. Er war jedoch gerade einmal 34 Jahre alt, nahm meine Überschätzung jedoch mit Humor. Um ihn daran zu hindern, mich enenfalls altersmäßig einstufen zu wollen, possaunte ich ihm meines sofort entgegen und freute mich natürlich sehr über sein ehrlich überraschtes Gesicht 😊. Um nicht überheblicher zu erscheinen, als ich das eventuell schon tue, verschone ich Euch jedoch mit seiner Einschätzung 😉. Nach einigen weiteren Stunden tauchte plötzlich meine kommunikationsscheue Litauerin auf. Sie marschierte forsch mit einem kurzen Caminogruß an uns vorbei, blieb dann aber immer in Sichtweite. Entlang einer Straße waren Dawid und ich dann wieder einmal in unsere Handys vertieft, um den Weg zu kontrollieren. Als ich aufblickte bemerkte ich unsere „Schattenfrau“, die dabei war ihr Knie zu „bepflastern“. Ich lief zu ihr hin und fragte, ob sie Hilfe bräuchte. Sie deutete auf ihre Stirn und fragte, ob hier alles in Ordnung wäre. Diese zierte eine dicke Beule und eine kleine Schürfwunde. Ich zögerte und meinte langsam: „yes, it looks okay“. Sie hakte nach, ob es NORMAL aussehe und nun musste ich leider lachen und antwortete: „No, it doesn‘t look normal“. Sie lachte zwar ebenfalls, fragte jedoch, ob ich sie auslachen würde. Ich winkte erschrocken ab und erklärte, dass die Wunde nicht schlimm aussehe, aber „normal“ wäre es natürlich auch nicht. Wo sie denn gefallen wäre, fragte Dawid. Sie zeigte direkt auf unseren Standort und antwortete: „Here“… Ich war kein Kälbchen 😳, mir war ihr Sturz völlig entgangen. Und Dawid anscheinend auch. Wir boten ihr an gemeinsam zu laufen, falls sie sich doch eine Gehirnerschütterung eingefangen hätte. Sie antwortete, es wäre ja okay, wenn sie uns sehen würde. Sie wollte keine Gesellschaft, dies wurde nun immer offensichtlicher. Sie lief dann abwechselnd mal vor und mal hinter uns her. Die Straßenlandschaft hatte auch einige schöne Stellen, die ich dann abrupt mit dem Handy festhalten wollte und damit immer wieder einen kleinen Pilgerstau hervorrief.

Dawid wollte nach Santillana del Mar und da ich nun schon so weit mit ihm gelaufen war, buchte ich im gleichen Hostel ein Zimmer. Kurz nach Requejada hatte ich Lust, den ausgeschriebenen Caminoweg zu laufen und die Straße zu verlassen. Dawid stimmte dem zu und wir wählten die längere Camino- Route. Damit trennten wir uns allerdings auch von Litauen. Kaum abgebogen, zickte Mimi und ich fing wieder an zu humpeln. Dennoch war der Ausblick ihr Geheule wert.

Dawid links unten mit wehendem Haar 😂. Es war schon sehr windig und frisch.

Nachdem mein Humpeln zunahm, fragte Dawid, ob wir eine Pause machen wollten. Wir hatten die 24 km ohne eine einzige Rast zurückgelegt! (Er war schon gute 13 km vorher losgelaufen☝🏻) . Wir kamen gerade an einer Koppel vorbei und ein kleiner Junge rief nach seinem Pferd, welches glücklich auf ihn zulief. Direkt im Anschluss gab es einen sehr schönen Rastplatz und wir ruhten uns 5-10 Minuten aus.

Nun war es auch nicht mehr weit. In einer knappen Stunde sollten wir unser Ziel erreichen und ich war sofort verliebt! Dieser Ort katapultierte mich, und wahrscheinlich jeden anderen auch, sofort ins Mittelalter! Eine atemberaubend schöne Stadt! Wir fanden recht schnell unser Hostel und verabredeten uns eine dreiviertel Stunde später noch zum Abendessen. Mein Zimmer war ein wenig dem optischen Zeitalter der Stadt angepasst und der Ausblick von der kleinen Terasse hatte etwas sehr Beruhigendes.

Wir trafen uns um 17:00 Uhr vor dem Hostel und entschieden uns für Pizza und Bier (obwohl er, nach seiner Aussage, gar kein Alkohol trank 😂) in einem kleinen gemütlichen Restaurant. Anschließend trennten sich unsere Wege, da wir beide noch ein wenig alleine durch die Stadt stöbern wollten.

„Buen camino“ lieber Dawid! Danke für wirklich tolle und offene Gespräche auf unserem kurzen gemeinsamen Weg! Das unsere Wege sich nochmal kreuzen ist leider recht unwahrscheinlich.