Nachdem es sich die Wäsche nun gewaschen, getrocknet und gerollt (so bleibt sie einigermaßen glatt und lässt sich leichter verstauen) in meinem Rucksack bequem gemacht hatte, lief ich um 11:15 Uhr erst los. Der Regen hatte sich verzogen, jedoch die Wolken nicht mitgenommen. Das beste Pilgerwetter! Ich lief motiviert und wieder ohne besonderes Ziel los. Fräulein Ehrgeiz gähnte gelangweilt und Herr Stolz klopfte mir hinter ihrem Rücken zwinkernd auf die Schulter. Meine Beine waren gut bandagiert und Max und Mimi mit Schonern versorgt. Ich lief durch einen „Baumtunnel“ und stand direkt vor dem Eingang zum Strand. Mit meinen dicken Wanderschuhen stapfte ich durch den Sand und beobachtete die Surfschüler in ihren schwarzen Neopren- Anzügen. Von weitem sah es aus, als hätte jemand Schokostreusel ins Meer gestreut.

Ich lief ca. 10 Minuten, als ich bemerkte, dass Olgas Stock fehlte 😱! Dieser hatte mir in schwierigen Stunden gute Dienste geleistet und ich wollte ihn auf keinen Fall zurücklassen. Ob ich ihn zu Hause wieder in die Hände des eigentlichen Besitzers geben konnte, schien schon fraglich, da er inzwischen auch irgendwie zu mir gehörte. Somit kehrte ich um und stapfte den Weg zum Hostel zurück. Ich war kaum in der Tür,da lief mir schon eine junge Mitarbeiterin mit meinem treuen Wegbegleiter entgegen. „Are you searching this?“ Nun, gesucht hatte ich ihn ja nicht wirklich, sondern schlicht vergessen. Aber ich nahm ihn ihr dankbar ab und lief nun in vollständiger Besetzung wieder los. Diesmal wählte ich einen anderen Weg. Wenn ich nun schon einmal die Chance hatte, so wollte ich sie auch nutzen. Ich hatte keine Zeit verloren, sondern eine Möglichkeit gewonnen! Er war anders, aber ebenso schön wie der erste. Auch hier trat ich durch einen alleeartig erbauten „Tunnel“ welcher mich direkt vor den Strand führte. Rechts stand eine Seepferdchen- Skulptur und links ging es über einen sandigen Pfad zu einer Holzbeplankung, welche das Gehen sehr vereinfachte. Auf diesem Holzweg kam mir ein Vater mit seinen beiden Kindern entgegen, welche mir im Canon einen „buen camino“ wünschten. Ich antwortete gefühlt stotternd: „ garcias, gracias, gracias“ 😂.

Ich hatte nun wieder die Wahl zwischen Strand und Straße. Nach meiner letzten Etappe siegte eindeutig Sand über Asphalt und ich stapfte somit erst einmal über einen trockenen und lockeren Untergrund. Ich lief, bis der Sand die durch die Feuchtigkeit komprimierte Festigkeit hatte und das Gehen somit vereinfachte. Der Strand war kaum besucht und ließ somit viel Raum für tiefe Atemzüge. Plötzlich entdeckte ich direkt vor meinen Füßen die vollständige Hälfte (😉*) einer Herzmuschel. Diese ähneln der Jakobsmuschel bezüglich ihrer strahlenförmigen Rippung, sind aber viel kleiner und natürlich häufiger zu finden. Dennoch hob ich sie auf und machte sie zu MEINER „Jakobsmuschel“. Auf meinem weiteren Weg entdeckte ich weitere, hob aber nur die auf, die ich erreichen konnte, ohne meinen Weg zu verlassen. Und, liebe Marta, zu nachfolgender Idee hast Du mich inspiriert: Ich möchte für jeden dieser Findlinge Eigenschaften finden, die ich an mir liebe! Und ich werde mir bis zum Ende dieses Weges Zeit dafür nehmen. Ich fand, inklusive „meiner“ Muschel, 7 Stück.

Ich musste den Strand verlassen, um in Somo mit einem Boot nach Santander überzusetzen. Es gab zwar einen 20 km längeren Fußweg um die Bucht herum, da diese aber nicht explizied empfohlen wurde und auch nicht in der „vorgegebenen Route“ der Camino-App aufgezeichnet war, zog ich eine Bootstour vor. Allerdings gehörte die Tour um die Bucht zum ursprünglichen Camino del Norte. Denn den gibt es natürlich. Zu Zeiten in denen Straßen und andere menschliche „Verbindungswege“ noch Mangelware waren, hatte man nicht die Optionen, die heute möglich sind. An der Anlegestelle traf ich auf Pilgerbekanntschaften, die jedoch über ein Grüßen nicht hinausgingen und auf eine Pilgerin meines Alters aus Litauen. Sie erzählte, sie wäre in Bilbao gestartet und würde aber eigentlich nicht den Jakobsweg laufen, da sie, aufgrund ihrer Knie (🙈) nur den Straßenweg nehme. Ich erwiderte, dass sie damit ihren eigenen Camino laufen würde und dies für mich sehr wohl zählen würde. Sie antwortete, dass sie schon gerne auch wüsste, wie es sich durch die Berge so anfühlen würde, sich dies aber nicht zutraue. Ich meinte, dass ich glaube, dass man sich bei jeder Weges-Entscheidung gut fühlen darf und alles genießen sollte. Sie nickte und schwieg. Ich hatte den Eindruck, dass sie dennoch nicht zufrieden mit sich war, was mir sehr leid tat. Sie zog sich nach einer kurzen Weile ins „Wartehäuschen“ zurück und ich blieb an der Anlegestelle stehen. Auf dem Boot sprach mich ein großer blonder junger Mann an und fragte auf englisch, wo ich die Nacht verbringen würde. Und dies war nicht anzüglich gemeint ☝🏻! Er war ebenfalls Pilgerer und unter diesen werden nunmal in Kürze die wichtigsten Informationen ausgetauscht: Wo bist Du gestartet? Wo willst Du hin? Hast Du Blasen? Wo schläfst Du die nächste Nacht? Ich teilte ihm mit, dass ich nicht in Santander bleiben würde, da ich noch nicht lange unterwegs wäre. Er fragte nach meiner Nationalität und schlug dann vor, die Unterhaltung auf deutsch weiterzuführen. Er käme aus Slovenien, wäre aber in Österreich auf die Schule gegangen. Er war in Bilbao gestartet und sei nun seit 1 Woche unterwegs. Blasen hatte er zwischen den Zehen und seine „Unterfüße“ (Sohlen 😉) würden brennen. Einige Nächte hatte er auf seiner Hängematte zwischen den Bäumen verbracht. Auch im Regen. Respekt!!! Wir unterhielten uns bis kurz vor Santander. Als wir angelegt hatten, lief ich an ihm vorbei und rief: „buen camino“. Er meinte: „Bis morgen“ und ich antwortete lachend: „Du bist aber optimistisch“. Er lachte auch und sagte mit erhobenem Zeigefinger: „Bestimmt!“

Der junge Slovene oben links im roten Sweater. Leider habe ich nicht nach seinem Namen gefragt 🤷🏻‍♀️.

Santander ist eine typische Großstadt mit viel Gewusel. Die Tatsache, dass Sonntag war verschonte mich vor der wahrscheinlichen Arbeitshektik dieser Stadt. Nach mehreren Tagen auf menschenleeren Straßen und Wegen und nur wenig Kontakt zu Menschenmassen, war mir selbst das Vorbeilaufen an gut besuchten Bars und Cafes zuviel. Laut tönte hie und da ein „buen camino“ hinter mir her und ich antwortete höflich, aber forsch weiterlaufend mit „gracias“. In der breiten Passage der Stadt verteilten sich die Menschen besser und es wurde angenehmer. Dort sprach mich ein gepflegter älterer Herr an und fragte, ob ich Pilgerin sei und nach Santiago wolle? Ich bejahte woraufhin er weitere Fragen stellte. Wo ich gestartet und ob dies mein „erstes Mal“ sei. Ich fragte, weshalb ihn das interessiere. Er erzählte, dass er ein alter Pilgerer sei und aufgrund seiner kranken Frau und der im Rollstuhl sitzenden Schwiegermutter nun nicht mehr pilgern könne. Ihn würden die Geschichten interessieren und es kämen hier nicht so oft alleinige Pilgerer vorbei, die man ansprechen könne. Er wäre unter anderem den Camino Frances gelaufen. Den Camino del Norte, also somit den hiesigen Küstenweg nur zur Hälfte. Er stellte weitere Fragen über den Verlauf meines Weges und ich gab ihm gerne Auskunft. Am Ende der Passage verabschiedete er sich und meinte, ich solle auch mal „stehenbleiben“ und Begegnungen zulassen. Diese Aussage stimmte mich auf meinem weiteren Weg sehr nachdenklich.

Am Ortsausgang von Santander lag eng verteilt auf dem Gehweg Fallobst, welches nach Zwetschgen roch. Es war eine spaßige Herausforderung zwischen diesen Früchten herumzuhüpfen, ohne darauf auszurutschen oder diese zu zertreten und weckte sofort wieder Kindheitsgefühle 😄.

Inzwischen war mein Ziel geboren: Santa Cruz de Bezana! Dort hatte ich ein Hotel für 28€ inkl. Frühstück gefunden. Inzwischen war es 15:00 Uhr und ich war bis dahin nur knappe 15 km (laut meiner Uhr☝🏻) gelaufen. Dennoch entschied ich, dass diese kurze Etappe für heute reichen müsse. Auf dem Weg kam ich an einigen farbenfrohen Häuschen und weniger schönen, wenn auch ebenso farbigen Gebäuden vorbei.

Die gelben Pfeile, welche in den Großstädten nur wenig zu finden sind, hatten sich außerhalb der Stadt sichtlich vermehrt und führten mich das ein oder andere Mal auf interessante Umwege. Und selbst auf diesen konnte man immer wieder welche entdecken. Anscheinend war man hinter Santander IMMER auf dem „richtigen“ Weg 😂!

Auf einem dieser „Irrwege“ machte ich eine seltsame Entdeckung: Hier lagen in rot drapierte Kunstblumen um eine Feuerstelle herum, auf der noch gegrilltes Fleisch lag, welches widerum mit einem roten Tuch abgedeckt worden war. Spielkarten lagen verteilt auf der Erde und dazu gesellten sich zwei Sektkelche und mehrere Flaschen. Es wirkte wie ein romatisches Candlelight- Dinner, welches aufgrund der Vielzahl der Flaschen, das Ende nur im gemeinsamen Magenentleeren gefunden haben konnte. Wer auf diese Romantik steht …. 🤷🏻‍♀️ 😂.

Meinen Abend habe ich ruhig ausklingen lassen, auf dem Zimmer eine Kleinigkeit meiner Rucksack-Reste verspeist und nebenher das Spiel der Holländer gegen die Tschechen verfolgt. Dazu die Aufzeichnungen des Tages verfasst, welche anschließend leider wieder nicht abgespeichert wurden 🙄. Dies holte ich nun heute Morgen nochmals nach, und nehme damit in Kauf, erst spät loszukommen 😉😘.

Zum Schluss möchte ich nun dringend mein Faux pas aus einer vergangenen Aufzeichnung wieder gutmachen. Denn es handelt sich bei diesen so üppig blühenden Sträuchern natürlich nicht um den Rhododendron, sondern um Hortensien☝🏻! Und ja, ich hatte dies schon direkt am nächsten Tag und auch selbst bemerkt 😉😂!