Mit dem Herbergsvater „Peter“ (welcher im Übrigen gar nicht so heißt, ich konnte nur seinen richtigen Namen nicht aussprechen 🤷🏻‍♀️), führte ich nach dem Abendessen noch ein langes Gespräch. Er ist ebenfalls 53 Jahre alt und wirkt verhärmt und auch ein wenig müde. Er hatte in seinem Leben fast alle 5-6 Jahre seinen Job gewechselt und öffnete diese Pilgerherberge vor gerade einmal 6 Jahren. Auch er lief zuvor den Camino. Alleine! Doch auch hier sieht er sich in 5 Jahren nicht mehr. Was er dann machen wolle, frage ich. Er weiß es nicht, aber wir wären ja noch jung, antwortete er müde lächelnd. Die Pandemie hatte er mit seinen wenigen Ersparnissen überbrückt. Nun müsse man sehen, wie es weitergeht. Ich ging anschließend nachdenklich ins Bett. Meine Zimmergenossen folgten etwa eine Stunde später. An Schlaf war in diesem überfüllten Raum kaum zu denken, obwohl wenig Schnarcher im Raum waren (außer mir vielleicht noch weitere zwei 😉). Eigentlich war es für die 14 Personen auf ca. 35qm Raum sogar recht ruhig. Dennoch raschelte es bei jeder noch so kleinen Bewegung und ich wagte kaum mich zu rühren, um niemanden zu stören. Um jede Stunde, die verging, war ich dankbar. Um 5:20 Uhr stand ich im Zeitlupentempo auf, um Geräusche zu vermeiden, und schlich mich mit meinem Waschbeutel bewaffnet ins untere Badezimmer. Anschließend holte ich meinen Schlafsack und packte auch diesen unten auf dem Eßzimmertisch zusammen. So holte ich, wie ein Hamster auf Jagd, Stück für Stück meiner Habseeligkeiten nach unten. Dann setzte ich mich im Dunkeln an den Tisch und begann mit dem neuen Eintrag dieses Blogs. Auch die italienische Mariam (sie hatte Psychologie studiert und vor einem Jahr erfolgreich abgeschlossen) lief den Camino alleine und ließ uns am gestrigen Abend an ihrer sehr persönlichen Geschichte zu dieser Entscheidung teilhaben. Ich denke, für die 8 fröhlichen Spanier aus der „Wandergruppe“ waren solche offenen Bekenntnisse eher befremdlich. Ich hielt mich in dieser Runde zurück und teilte auch „Peter“ nur wage meine Intension zum Jakobsweg mit. Er war, aus meiner Sicht, überfüllt an Geschichten und davon waren es größtenteils wohl seine eigenen. Um 6:40 Uhr war noch immer kein Mucks zu hören und um 7:00 Uhr sollte es Frühstück geben. Ich beschloss, meine Rücksichtnahme etwas zu lockern und holte nun nicht ganz geräuscharm meinen Rucksack, um diesen zu packen. Zum Frühstück gab es Cornflakes, Kekse und diese kleinen Kuchen, die nach den französischen Madeleines schmecken. Dazu natürlich Kaffee, bei Bedarf Tee oder heiße Schokolade. Um 7:30 Uhr verabschiedete ich mich von der noch trägen Frühstücksgruppe, schmiss 10€ in den Spendentopf und begab mich zum schon rauchenden „Peter“ nach draussen. Er stand auf und lächelte ebenfalls noch müde. „Ciao Daniela“, verabschiedete er mich und ich wünschte: „Good luck for the next 5 years.“ „Maybe not“, erwiderte er.

Ich marschierte in den schon aufgebrochenen aber noch morgenfrischen Tag. Schon die ersten Kilometer waren traumhaft. Der Himmel, die Landschaft, die Berge, die Stille. In solchen Momenten möchte ich einfach nur laufen und sehen.

Es war ein ruhiger Anfang. Man traf zwar das ein oder andere Mal „Peregrinos“, aber außer einem „buen camino“ wurde wenig gesprochen. Ich glaube tatsächlich, dass das die Natur mit uns machen kann: Uns zum Schweigen bringen! Dazu, nur noch zu sehen, zu fühlen und zu riechen. Jeden Tag mehr auf dem Camino weiß ich, warum ich hier sein möchte. Ich vermisse nichts! Was nach außen hart klingt, ist eigentlich nur eine erlösende Erkenntnis: Ich bin mir selbst genug! Das ändert nichts an meiner Liebe zu den Menschen, die mir am Herzen liegen.

Den Momenten des einfach nur „Hierseins“, folgten Gedanken an das „Sein“ zu Hause. An das, was es plötzlich so schwer gemacht hatte. Wann hatte ich angefangen, mich zu verlieren? Jeder Psychologe beginnt dort, wo man sich selbst seiner Entwicklung bewusst ist. Letztlich bekommen wir alle eine Rolle zugeschrieben: In der Familie, im Freundeskreis, in der Gesellschaft und im Beruf. Nun müssen wir diese Rolle mit unserer Persönlichkeit füllen. Und die Kunst dabei ist es, immer noch Du selbst zu bleiben. An irgendeiner Kreuzung bin ich jedoch falsch abgebogen. Oder besser, ich habe mich verbogen um die Wege zu gehen, auf denen die Erwartungen an mich lagen. Hier erwartete niemand etwas. Der Weg nicht, der Tag nicht, selbst die Zeit nicht. Nur ich, ich bin noch immer in Erwartung an die Leistung, die ich von mir fordere. Statt einfach nur zu laufen, zu sehen, zu fühlen und zu riechen solange ich Lust dazu habe.

Die meisten der heutigen Wege luden zum atmen, träumen und genießen ein. Doch zwischendurch forderte der Camino auch meine Achtsamkeit und ließ mich aktiv werden. Nachdem meine Nacht kurz und schlaflos gewesen war, hielt mich das fröhliche „Grabenspringen“ wenigstens wach 😂.

Kurz vor Llanes ging es noch einmal einige Höhenmeter nach oben, was mit einem fantastischen Blick belohnt wurde. Hier setzte ich mich dann auch ins Gras und machte nach 12 km meine erste Rast.

Beim Abstieg traf ich überraschenderweise das erste Mal auf einen Ziegenhirten mit freilaufender Herde. Mein Tierherz pochte und schrie:„Streicheln!!!“ Der junge Hirte hatte jedoch solche Mühe seine Hunde während meines Passierens zu beruhigen (da diese ja auf die Herde aufpassen sollten und ich ein Eindringling war), dass ich jeden zuckenden Streichelmechanismus unterdrückte 😕. Allerdings nicht ohne inneren Heulkrampf☝🏻!

Llanes war eine tatsächlich sehr schöne, wenn auch turbulente und für mich somit zu laute Stadt. Hier trank ich dennoch einen kurzen erfrischenden Eiskaffee und machte mich auf die Suche nach einem Bäcker. Und startete…die längste Brotsuche meines Lebens 😕. Falls „Peterbäck“ noch einen geeigneten Standort sucht, hier wäre Bedarf! Confiserien ohne Ende, aber nicht ein verdammtes Brot! Dies bekam ich dann in einem Supermarkt und kaufte mir dazu einen abgepackten Thunfischsalat, dessen Optik an das Endprodukt einer Magen-Darm-Grippe erinnerte, jedoch verhältnismäßig gut schmeckte☝🏻.

Nachfolgendes Bild konnte ich mir leider nicht verkneifen. Schon „Kacke“, wenn man in „Poo“ wohnt 😂😂😂.

Ich lief noch immer ziellos umher und kam um kurz vor 14:00 Uhr durch ein Örtchen namens Celorio. Ich war erst 20 km gelaufen und auch noch recht fit. Dennoch fühlte ich mich hier spontan wohl und fand ein Schild auf dem stand: Las Palmeras. Hostel for Pilgrims/ Peregrios! Ich lief darauf zu, als mir ein wild fuchtelnder Spanier entgegenlief und rief: „Aleman?“ Ich antwortete schon etwas überrascht „Si.“ Daraufhin er: „Daniela?“… So blöd habe ich in meinem ganzen Leben noch nie aus der Wäsche geguckt! Ich sehr, sehr langsam: „… Siiii…?“ Er winkte mich weiter und redete im spanischen Speedtempo auf mich ein. Völlig unter Schock folgte ich in sein Hostel, nahm den Orangensaft entgegen, den er mir anbot, holte nach Aufforderung meinen Pilgerpass heraus und verstand dann folgendes: Er tippte auf den letzten Stempel in meinem Pass („Peters“ überfüllte Herberge☝🏻), sagte „Peter“ sei ein guter Freund und habe ihm von mir erzählt 😳😳😳??? Ich war immer noch sprachlos, zahlte 15€ und bekam ein sehr nettes Zimmer 🤷🏻‍♀️. Mehr weiß ich auch nicht, aber es kommt noch besser ☝🏻. Ich hörte nach einiger Zeit eine bekannte Stimme und als ich meine Zimmertür zum Flur öffnete, riss Mariam die Nebentür auf, rief „hello“ und schaute mich entgeistert an. Eigentlich hatte sie nicht mit mir gerechnet und wollte nur das WLan Passwort erfragen 😂. Wir haben uns wie Schulmädchen weggekichert vor Lachen. Sie hatte auf dem Weg ihr Bein überbeansprucht und konnte nur noch humpeln. Aus diesem Grund kehrte sie hier ein und wollte nun einfach nur „chillen“. Ich lief mit Buch und Radler bewaffnet zum Meer, setzte mich dort in den Sand und ließ es mir den restlichen Tag gutgehen 🥳.

Vor dem spanischen Nachwuchs müssen unsere DFB- Frauen auf der Hut sein 😉!