Auch Aviles war keine wirklich schöne Stadt. Aber sie hatte einige nette Ecken mit dem Park und dem französischen Garten, dem Rathausplatz und den kleinen Gässchen.

Ich verließ die Pension um 7:45 Uhr und begab mich zu einer Bar namens ‚Chicote‘, in der ich laut Auskunft der Pensionsinhaberin, ein gutes Frühstück für 2€ erhalten sollte. Ich wählte ein Toast mit Ei, Salat, Tomate und Spargel, einen Orangensaft, einen Kaffee und zahlte 3€. Was aber dennoch absolut preiswert war.

Nächste Aufgabe meines heutigen Tages: suche den Pfeil! Denn nach dem gestrigen Erfolg wollte ich auch heute der Route folgen. Ich kam an einer der vielzähligen wunderschönen, aber verschlossenen Kirchen vorbei, lief eine Straße entlang, die gefühlt gen Himmel führte und war nach ca. 30 Minuten auf dem gewünschten Camino. Problemlos! Die Schmerzen schliefen wohl noch 🤷🏻‍♀️.

Heute liefen meine Füße fast ausschließlich über Asphalt. Doch da es keinen der beiden zu stören schien, kümmerte ich mich um die Dinge, die meine Augen wahrnahmen. Der Camino del Norte wird von Pilger-Anfängern wegen der vielen Höhenmeter und der damit verbundenen Strapazen gerne gemieden. Doch das genau war es, was diesen Weg so unglaublich schön machte. Ich habe keine Vergleiche! Es ist der erste Camino, den ich laufe. Aber ich denke, erfahrene Pilger würden mir hier recht geben. Selbst jetzt, als ich auf Aviles herabblickte, hatte diese Aussicht etwas Magisches. Das Meer, der Wald und dazwischen eine Stadt aus Bauklötzen. Es wirkte, als ob der Wald die Stadt zum Wasser drängte oder wohl eher umgekehrt. Ein Battle zwischen Menschenwerk und Natur.

Aufgrund meiner wieder etwas durchbrochenen Nacht war ich etwas bleiern und müde unterwegs. Aber glücklich! Dennoch fing ich nach einiger Zeit an zu frösteln und spürte ein leichtes Kratzen im Hals. Ich schaute an meinem Körper herunter und sagte laut: „Du hast auch immer irgendwas“. Ich beschloss zu tun, was ich am besten konnte: ich ignorierte ihn! Wenn man einem hingefallenen Kind keine Beachtung schenkt, fängt es mit dem Geplärre oft gar nicht erst an. Und wenn es sich dann doch ernsthaft verletzt hat, dann kann man sich ja immer noch kümmern! Ich war schlicht übermüdet und morgen wäre alles wieder in Ordnung. Das Schicksal, an welches ich im Übrigen immer noch nicht glaube 😄, legte mir boshaft eine alte verratzte Matratze auf meinen Weg, an der ich spöttisch lächelnd vorbeilief.

Vor einigen Tagen waren mir erstmalig 6 junge Pilger im Alter zwischen 18-20 Jahren begegnet. Seither passierten wir uns schon das ein oder andere Mal. Direkt am ersten Tag hatten sie mich bei einem meiner „Reverse-Movie- Moves“ mit belustigten und fragenden Blicken überholt, und ich kommentierte meinen Rückwärtsgang nur mit: „It‘s just a joke“ 😉. Der erste nickte blöd grinsend und ich war mir nicht einmal sicher, ob er mich überhaupt verstanden hatte. Mal sah man sich in einer der Städte, mal überholte man sich gegenseitig beim pausieren des anderen. Heute sah ich das Rudel schon von weitem verteilt am Straßenrand auf dem Boden liegen. Einige hatten sich zum Schutz der ab und zu durchblitzenden Sonne ihre Shirts über die Augen gelegt. Eindeutig waren alle ziemlich erschlagen und ich vermutete, auch noch nicht ganz ausgenüchtert. Auf jeden Fall setzte ich mein schönstes blödes Grinsen auf und lief mit einem ohrenbetäubenden „buen camino“ an der Kater- geprägten Meute vorbei. Manchmal kann auch ich nicht anders 🤷🏻‍♀️.
Inzwischen war es 12:35 Uhr und mein Magen rebellierte. Die Nahrungsanzeige meines Rucksacks stand auf 0, da ich die letzte Banane schon vor zwei Stunden verzehrt hatte. Die Straßen nahmen kein Ende und ein Nahrungsmittel- Erwerb war laut Karte auf dem heutigen Camino wohl nicht vorgesehen. Somit gab es zwei Möglichkeiten: verhungern oder den Camino zugunsten der Nahrungsaufnahme verlassen. Die Wahl fiel spontan auf Nr.2 ☝🏻. Allerdings hieß dies, von den gewöhnlichen Durchfahrtstraßen auf eine Schnellstraße zu wechseln. So kam ich unter lebensbedrohlichen Umständen schließlich an einem Restaurant an, von dem der Besitzer überzeugt war, es wäre Spaniens „Ritz“. Zumindest führte er sich sowohl seinen Gästen, als auch seinen Mitarbeitern gegenüber so auf. Wie Lakaien wuselten die jungen Männer unter dem strengen Blick ihres Herrschers hin und her. Mir wurde ein englisch sprechender „Diener“ zugeteilt, der wie ein „Bückling“ um mich herumwuselte. Unfassbar dieses Theater in einem Restaurant, in dem überwiegend Fernfahrer und Arbeiter gastierten. Wobei ich grundsätzlich kein Freund dieser übertriebenen Behandlungsmetodik bin. Ich bestellte einen Lachssalat mit Tomaten und Garnelen, dazu einen Kaffee und ein Wasser. Als „Gruß der Küche“ bekam ich ein winziges Mini- Cordonbleu auf einem Porzellanschälchen serviert. Dass ich Pescetarierin bin, wusste das Codon bleu ja nicht und so verließ es den Porzellanteller und zog in meinem Magen ein. Ich hatte solchen Hunger! Der „Lachssalat“ war gut und absolut ausreichend, da es zusätzlich noch ein sehr großes Baguettebrötchen dazu gab. Für dieses Mahl bezahlte ich einschließlich der Getränke 14€. Aus meiner Sicht völlig in Ordnung, wenn auch nicht wirklich budgeschonend.

Der Schnellstraßenwalk ging bis kurz vor Soto del Barco. Eine sehr nette kleine Stadt mit unglaublich vielen hilfsbereiten Menschen, die sich bezüglich des „richtigen“ Caminoweges allerdings nicht einigen konnten und so entschied diesen meine App.

Für mich hatte diese Stadt Charme! Liebevolle Details, schöne Bauwerke und eine heimelige Lage, eingebettet zwischen Bergen und dem Fluss Nalon. Allerdings nicht mein heutiges Ziel. Es ging noch einige Kilometer weiter nach Muros de Nalon.

Um nach Muros de Nalon zu kommen, musste ich den Rio Nalon überqueren. Gott sei Dank nicht schwimmend. Hierfür diente eine Autobrücke, die bei vorbeifahrenden Autos aber so wenig Platz auf der Straße ließ, dass ich mich zwischen das Brückengitter und die blaue Straßenbegrenzung (welche hier wohl die Leitplanke ersetzte) quetschte. Die Füße dieser Begrenzung ragten ungünstigerweise so in den eh schon schmalen Durchgang hinein, dass ich meinen rechten Fuß immer etwas höher anheben musste, um nicht zu stolpern. Blöde Konstruktion!

Ich kam schließlich wohlbehalten und fast komplett schmerzfrei in Muros an, deckte mich in einem Lebensmittelladen mit Brötchen, Keksen und Obst ein und fand schnell eine nette Herberge, in der ich für 17,50€ sogar noch ein Einzelzimmer bekam. Mein erster Gang führte, wie immer, unter die Dusche. Anschließend wollte ich noch etwas Wäsche waschen. Als ich frisch und sauber meine wenigen Schmutzsachen holen wollte, lief mir die maskierte Mariam entgegen. Ich lachte und meinte, sie würde mich wohl verfolgen. Worauf sie schlagfertig antwortete: „Wenn Du nach Santiago willst, dann ja!“ Mein Abend geht, wie meist, sehr ruhig zu Ende. Die Wäsche hängt und ist hoffentlich morgen trocken, immerhin haben die hier so ein „Vortrocknungsgerät“ So etwas hatte meine Mutter früher auch, da hieß das aber ‚Salatschleuder‘ und wurde von Hand gedreht. Wo es morgen hingeht weiß ich noch nicht, aber ihr werdet es sicher bald erfahren 😉. Buenas Noches!