Fräulein Ehrgeiz sitzt am Steuer
02.06.2022
Schon am frühen Morgen geriet mein neues Vorhaben kurz ins Wanken…
Ich stand um 04:00 Uhr gemütlich auf, aß ein gekochtes Ei (denn mehr ging so früh nicht runter) und machte mich voller Vorfreude um kurz nach 05:00 Uhr auf den Weg zum Bühler Bahnhof. Rein in den Regionalzug Richtung Offenburg und nochmal kurz die Augen zu. In Offenburg hatte ich 7 Minuten zum Umsteigen, was kein Problem sein sollte. Ich sprang also mit meinem 7,5 kg Rucksack locker die Treppen am Bahnhof hinunter um zum angegebenen Gleis zu kommen, da ertönte die Durchsage, dass mein IC mindestens 70 Minuten Verspätung hätte. Den Grund dieses Desasters nahm mein geschocktes Gehirn gar nicht mehr auf. Ich wechselte vom entspannten Schlendern in den menschlichen Galopp, um zum Info- Schalter zu gelangen, welcher um diese Uhrzeit jedoch keinen bereitwilligen Frühaufsteher gefunden hatte. Auf irgendeinem Gleis fuhr ein weiterer Regio ein und meine kurzsichtigen und unbebrillten Augen nahmen wage das Ankunftsziel Basel auf der Anzeigetafel wahr. Also Galopp zurück und dann stand ich erst einmal unschlüssig vor der geöffneten Tür des Zuges, für den ich laut meines Wissens keinen Fahrschein hatte. Kurz bevor diese sich zu schließen drohte, hüpfte ich dann doch hinein.
Da saß ich nun und hatte dennoch das gute Gefühl, genau das Richtige getan zu haben. Dies wurde mir dann auch vom freundlichen Schaffner bestätigt und nun stand meinem Sehnsuchtsziel erst einmal wieder nichts mehr im Wege: der Camino Portugues! Der Jakobsweg an der Westküste Portugals, der oben in Spanien wieder enden würde.
Die weitere Anreise verlief ohne Komplikationen und ich lernte auch schon direkt am Flughafen eine Pilgerkollegin kennen: Nicole, 45Jahre.

In Porto angekommen kümmerte ich mich erst einmal um meinen Pilgerausweis, welchen ich allerdings nur in der Kathedrale in Porto für 2€ erwerben konnte. Nicole wollte sowieso dorthin und somit begleitete sie mich und wir liefen zur Metro. Am Ticketschalter kaufte ich ein “Päarchen-Ticket“ und wir stiegen ein. Ein älteres weiteres deutsches Pilgerpaar aus unserem Flieger, welches uns wohl beobachtet hatte, stieß zu uns und er meinte schmunzeld, dass Nicole und ich uns doch erst kennengelernt hätten und dennoch schon so vertraut miteinander umgehen würden. Wir zuckten nur grinsend mit den Schultern.
Ja, ich spürte schon jetzt, dass ich wieder da war. Und schon nach wenigen Minuten Sightseeing in Porto und maximal 20 Minuten auf dem Camino fühlte ich mich angekommen. Wieder zu Hause…

Der Weg aus Porto heraus erinnerte mich ein wenig an meine unschöne Strecke im Anschluss an Bilbao auf dem Camino del Norte. Aber es gab auch schöne Parks in denen man kurz verweilen konnte. Die Strecke entlang des Atlantik büste leider die Naturwege ein, welche ich so liebte. Es ging fast durchgängig über Kopfsteinpflaster und durch sehr touristiküberflutete Städte. Das schöne Wetter und die Meeresluft trösteten mich etwas über diese Tatsache hinweg, aber ich beschloss dennoch, mich mehr ins Inland zu begeben. Die Pflastersteine endeten zwar auch hier nicht, allerdings war es ruhiger und zeitweise wurde ich auch von schönen Feld-und Wiesenwegen überrascht.
In einem kleinen Ort kam mir eine ältere Dame mit einem liegenden Zicklein auf dem Arm entgegen, mit dem es liebevoll zu schimpfen schien. Als ich ihr stehend lächelnd entgegensah, erklärte sie mir auf portugiesisch, dass das Kleine von zu Hause ausgebüxt war und dann wohl heulend einige Meter weiter nicht mehr nach Hause gefunden hatte. Um ehrlich zu sein, verstehe ich kein einziges Wort portugiesisch, aber diese Geschichte hat für mich einfach gepasst.
Nach einigen Kilometern zog es mich zurück zur Küste. Wieder am Atlantik angekommen, faszinierte mich dieses wilde unruhige Wasser mit seinen großen, sich aufschäumend brechenden Wellen. Dieses starke, unberechenbare und nicht durchschaubare Phänomen der Natur, motiviert und beruhigt mich zeitgleich.
Der Camino verläuft fast durchgehend flach und hat somit wenig sportliche Herausforderung. Bei meinem Einstieg in diesen hatte ich mir allerdings dennoch geschworen, langsam zu starten und nur maximal 20km zu laufen. Doch was macht man, wenn sich Fräulein Ehrgeiz gleich zu Beginn ans Lenkrad setzt und bestimmt, dass sie heute fährt? Sogar Monsieur Stolz hatte entspannt neben ihr Platz genommen, da ihm die wenigen Höhenmeter der Strecke bekannt waren. Maximus und Mimikus schienen ebenfalls einverstanden zu sein und so legten wir gemeinsam dann doch 26 km zurück, bis Labruge. Den Weg dorthin wählte ich nach Lust und Laune, ohne auf die gelben Pfeile zu achten. Mal Küste, mal etwas mehr Inland.


Um 20:15 Uhr erreichte ich die relativ große Pilgerherberge (54 Betten), bei der ich über Whatsapp einen Platz angefragt und bestätigt bekommen hatte. Die Rezeption war dann allerdings menschenleer und die Pilgerherberge voll…
…fast! Eine letzte Schlafmöglichkeit in einem 10-Betten-Zimmer mit einem allerdings ziemlich schmutzigen Laken und Kopfkissen war noch übrig. Da ich nun doch meine Beine spürte und auch etwas müde war, holte ich mir aus dem Nebenzimmer eine kratzige, grobe Decke und legte diese unter meinen Schlafsack. Kurzer Plausch mit mehreren Deutschen und einer 68 Jahre alten Österreicherin, eine Zigarette und ein 0,0 Bier, dann duschen, Zähne putzen und ins Bett. Es gab einige heftige Schnarcher im Zimmer und so warf ich eine meiner Einschlaf-Tabletten ein und drückte mir Oropax in die Gehörgänge. Bingo! Geschlafen wie ein Baby :-)!

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