Tote Pflastersteine und lebendige Töne.
03.06.2022
Um 07:20 Uhr war ich erst auf der Strecke. Später als geplant, da ich den Wecker aus Rücksicht nicht gestellt und nicht damit gerechnet hatte, so lange zu schlafen.
Der Weg an Portugals Küste läuft über nicht enden wollende Holzplanken, welche das Gehen allerdings erleichtern. Mich passierten, wie auf dem Camino del Norte, einige unsngeleinte Hunde mit ihren Besitzern. Auch diese ignorierten mein Herankommen, nur im Gegensatz zu den spanischen Vierbeinern, legten sie ihre anerzogene Ignoranz -bei Zuruf- für ein paar Streicheleinheiten gerne mal zur Seite. Mit viel Glück begegnen dem Pilger hier ,Hunde-Gassigeher‘, die gleich mehrere Streichelopfer mit sich führen. Was für ein Traumjob!

In einer Strandbar machte ich Rast und gönnte mir einen Kaffee und eine Cola Zero. Am Nachbartisch saßen drei junge portugiesische Mädchen, kicherten, vertieften sich zwischendurch in ihre Handys und lasen sich englische Texte vor, die offensichtlich von jungen Männern an sie geschrieben worden waren. Portugiesisch kann ich nicht, aber der englischen Sprache war ich ausreichend mächtig.
Eines der Mädchen hatte an ihrer rechten Hand keine Finger, möglicherweise eine Laune der Natur, die aus ihr etwas ganz besonderes machen wollte. Dies war auch offensichtlich geglückt, denn plötzlich begann dieses Mädchen zu singen und ihre Freundin stimmte sachte mit ein. Ich war so fasziniert von ihrer lebendigen Stimme, dass ich sie anstarrte und am Ende applaudierte. Die Mädchen lachten und erklärten, dass sie dies Lied gerade in der Schule sängen.
Als ich ging, wünschte ich ihnen auf ihrer Tinder-Suche viel Glück, was einen weiteren Lachflash der Dreier-Gruppe auslöste. „We are just looking for friends“, erklärten sie und ich antwortete zwinkernd: „Sure…just friends“.
Nach mehreren Kilometern an der Küste zog es mich wieder auf ,Inwege‘, in der Hoffnung, etwas mehr unberührte Natur zu erhaschen.


Irgendjemand hat Portugals Westen wohl mit einem riesigen Dampfbügeleisen bearbeitet, denn diese Region besitzt weder Falten noch Hügel. Die mangelnde Herausforderung ließ Fräulein Ehrgeiz allerlei Unfug betreiben: Mal lenkte sie nur mit einer Hand, mal mit dem Kinn, rückwärts und zum Schluss noch mit den Füßen. Auch als ich ihr mitteilte, dass die nun doch schon weiteren 22 bewältigten Kilometer sowohl im Po als auch in meinen Beinen brennen, winkte sie gelangweilt ab. Nur Herr Stolz klatschte, wenn auch leise, Beifall. Kaum war der Gedanke ausgedacht, da kam dem Camino das Wetter zur Hilfe und es fing blitzartig zu regnen an. Fräulein Ehrgeiz rollte nur mit den Augen und ich zog mir und meinem Rucksack unseren neuen und ultrawasserfesten Regenschutz über.
Der Regen wärte auch nicht lange und ich lief über weitere unendliche Pflasterstein-Straßen, für die viele arme Steine ihr Leben lassen mussten… Aber am Ende meiner Etappe kam ich dann doch noch auf meine ersehnten Naturwege und genoss jeden weiteren, wenn nun doch schon schweren, Schritt.

Zu meiner Freude waren wesentlich weniger Pilger auf der Strecke als vermutet. Direkt am Küstenweg waren es sicher etwas mehr, aber weiter im Inneren war ich durchgehend alleine.
Fazid: Die Küste ist wunderschön, doch leider langfristig auch etwas eintönig und somit ist es sicher kein Fehler auch mal eigene Wege einzuschlagen. Bisher würde ich vermuten, dass es ein toller Einstiegs-Camino ist, da auch die Infrastruktur keine Wünsche offen lässt, aber möglicherweise kommt diese Einschätzung viel zu früh.

Nach 33km kam ich in Fao an und liege jetzt alleine in einem 4-Bett-Zimmer einer ,Luxus-Pilgerherberge‘ für 15 € inklusive frischer, guter Bettwäsche und hübscher junger Betreiberin. Die frischgepresste Zitronenlimo gibt es auch noch gratis dazu: Lecker!
Maximus (linkes Knie mit Miniskus-Schaden) ist nun doch leicht mürrisch, was aber nach der Strecke auch kein Wunder ist. Monsieur Stolz und sogar Fräulein Ehrgeiz sind abschließend zufrieden und somit steht einer weiteren guten Nacht nichts im Wege…

Schreibe einen Kommentar